In der Tabelle gilt: Ein Punkt ist ein Punkt ist ein Punkt. Ingolstadt und Hertha sind punktgleich. Beide haben zweimal Unentschieden gespielt, dafür beide 2 Punkte erhalten. Aber Hertha hat gegen Bremen und in Frankfurt remisiert, für Ingolstadt hießen die ungleich potenteren Gegner Wolfsburg und Köln. Ist das nichts wert? Die Tabelle sagt: »Nein!«. Ich werde in diesem Artikel eine neue Art von Tabelle einführen, die »Doch!« sagt.
Natürlich lügt eine Tabelle selbst nicht. Sie entsteht, indem man alle ausgespielten Ergebnisse zu Grunde legt und daraus auf die bewährte, nachvollziehbare Weise eine Rangordnung der Mannschaften erstellt, die nebenbei und zur feineren Sortierung Größen wie die Gesamtzahl geschossener und kassierter Tore ausgibt. Trotzdem ist sie nicht vollkommen, nicht ausgenommen von jeder Kritik.
»Wir schauen nicht auf die Tabelle – die hat erst ab dem zehnten Spieltag Aussagekraft« – Ralf Rangnick
Zwei Gründe für diese Einschätzung liegen auf der Hand: Zum einen wirken sich Spiele oder Phasen von besonderem Glück, Pech oder außergewöhnlicher Formschwäche gravierender aus, je weniger Partien gespielt sind: Angesichts der offenkundigen Schwächephase zu Saisonbeginn würde kaum jemand das aktuelle Leistungsvermögen von Borussia Mönchengladbach an ihrer Tabellenplatzierung messen.
Zum anderen hängt die eigene Punktausbeute immer auch von den gegnerischen Mannschaften ab, gegen die jene Punkte erbeutet wurden. Werderfans können ein Lied davon singen: Nach Siegen gegen die außer Form befindlichen Teams aus Gladbach und Hoffenheim und dem zwischenzeitlichen sechsten Tabellenplatz sah Thomas Eichin die Mannschaft für den Kampf um die internationalen Plätze gerüstet – es folgten vier Niederlagen am Stück.
Aber nicht umsonst spielt im Laufe der Saison jeder genau zweimal gegen jeden, bevor abgerechnet wird. Man misst der Tabelle nach einem Spieltag nicht allzu viel Bedeutung bei – und vor dem letzten Spieltag achtet man bei der Abschätzung der Chancen im Abstiegskampf genau darauf, wer auswärts in Dortmund und wer in Augsburg antreten muss. Mitten in der Saison fällt diese Einordnung der Tabelle in den Spielplan schwerer – Programme aus acht gespielten Teams lassen sich natürlich nicht so leicht miteinander vergleichen wie das eine erledigte bzw. verbleibende Duell am ersten/letzten Spieltag. Was tun?
Man kann sich zunächst einmal ansehen, durch welche Siege eine Punktzahl zu Stande gekommen ist. Die folgende Visualisierung nach vier Spieltagen zeigt per Pfeil an, wer wen geschlagen hat. Dabei wird jedes Team so platziert, dass es höher als alle bezwungenen Gegner steht.
Eine Hierarchie nach vier Spieltagen
In dieser Ansicht werden alle Unentschieden und alle noch nicht gespielten Partien ignoriert, es fließen nur die Begegnungen mit Sieger und Verlierer mit ein. Selbstverständlich ist dies nur eine mögliche Ansicht, die ebenso wenig wie die Tabelle eine in Stein gemeißelte Hierarchie der Mannschaftsstärken darstellt. Verzerrende Effekte gibt es auch hier: So steht Wolfsburg mit nur zwei Siegen zwei Ebenen höher als die viermal siegreichen Münchner – dank der guten Bilanz der bezwungenen Schalker und Frankfurter.
Aber selbst wenn man darüber hinwegsieht: Man kann die Teams in einem solchen Schema nur dann übereinander platzieren, wenn sich keine »Kreise« ergeben, wie es inzwischen, nach acht Spieltagen, der Fall ist:
Wenn es solche Pfeile im Kreis gibt, kann das obige Schema nicht aufrecht erhalten werden, da in jedem Kreis mindestens ein Pfeil nach oben zeigen müsste, also mindestens ein Besiegter über seinem Besieger stünde. Die Idee, Mannschaften an der Stärke der bisherigen Gegner zu messen, lässt sich aber auch auf andere Weise umsetzen.
Es soll im Folgenden eine neue Art von Tabelle konstruiert werden, die einer anderen Berechnungsvorschrift folgt. Dabei wird es nicht darum gehen, wie aus den Spielen die Ergebnisse wurden, sondern nur darum, wie man mit den Endergebnissen umgeht. Genau so wie die Tabelle auf nichts anderem als den Resultaten fußt, wird in diesem Artikel keine andere Größe herangezogen: kein Chancenverhältnis, kein Marktwert, keine Zuschauerzahl. Es soll eine bessere Rangordnung der Mannschaften entstehen, ohne sich damit zu befassen, was über das Endergebnis hinaus auf den Plätzen passiert ist.
Herauskommen soll trotzdem eine treffendere Einschätzung der bisher erbrachten Leistungen als es die Tabelle zum aktuellen Zeitpunkt ist. Der erste Kritikpunkt wird dabei bestehen bleiben – Abschlussglück oder Formschwäche wirken sich auf dem Platz aus, beeinflussen das Ergebnis. Am zweiten lässt sich arbeiten. Die erspielten Ergebnisse sollten nicht alle gleich behandelt werden, sondern differenziert anhand der Gegner bewertet. Am einfachsten ist dies, indem man die Punktzahlen der bisherigen Gegner addiert.
Eine ganz einfache Umsetzung: Auf der Hochachse finden sich die erzielten Punkte, auf der Rechtsachse sind die erzielten Punkte der bisherigen Gegner aufsummiert. Wer oben steht, steht auch in der Tabelle oben; wer rechts steht, hatte Gegner, die im Schnitt weit oben stehen. Es lässt sich also mit einigem Recht behaupten, dass Hannover und Augsburg, obwohl sie beide gleich viele Punkte erspielt haben, bislang unterschiedlich starke Gegner hatten und Augsburg, das gegen schwerere Gegner dieselbe Punktzahl erreicht hat, stärker als Hannover einzuschätzen ist. Mehr noch: Der VfL Wolfsburg scheint um Welten stärkere Gegner als Hertha BSC erwischt zu haben, hat dabei aber trotzdem nur zwei Punkte weniger erreicht – sollte das nicht Grund genug sein, den VfL ohne Ansehen des Kaders für stärker als die Hertha zu halten?
Man könnte nun einfach so verfahren, Bonuspunkte anhand der Punktesumme der bisherigen Gegner zu vergeben. Neben der Frage, wie die Anzahl dieser Bonuspunkte berechnet werden sollten, ergibt sich dabei ein großes Problem: Wolfsburg hat weniger Punkte erreicht als die Hertha, selbst wenn der VfL also nach Ermittlung der Bonuspunkte vor der Hertha läge, hätten die anderen Teams immer noch für einen Sieg gegen Wolfsburg weniger Bonus kassiert als für einen Sieg gegen die Hertha – was das Anliegen konterkarieren würde.
Es braucht also ein System, um all diese Korrekturen auf einmal und in einem angemessenen Ausmaß durchzuführen. Das ist nicht allzu kompliziert zu bewerkstelligen, die Beschreibung der mathematischen Umsetzung passt in den folgenden Absatz, wer daran nicht interessiert ist, kann ihn überspringen und wird nicht weiter damit behelligt.
Man betrachte jede gespielte Partie als ein Nullsummenspiel, bei dem ingesamt 2 Punkte vergeben wurden. Nun lässt sich jedem Team eine Variable zuweisen, die angibt, wie viele Punkte es gegen einen gedacht neutralen Gegner durchschnittlich erspielt. Hat jedes Team eine solche Variable, lässt sich für den Ausgang jedes Spiels ein erwartungswertartiges E‘ ansetzen: Es liegt bei dem neutralen einen Punkt, plusminus Heimvorteil, plus der eigenen Variable, minus der Variable des Gegners. Ein gedacht neutraler Gegner hätte die Variable 1, E‘ läge bei der eigenen Variable plusminus Heimvorteil. Um die Variablen zu bestimmen, reicht ein weiterer Gedankenschritt: Summiert man diese E‘ über alle gespielten Spieltage auf, sollte in der Summe die tatsächliche Punktzahl nach der 2-Punkte-Tabelle herauskommen. Damit bleibt der Rest Formsache: Alle solchen Gleichungen für die 18 Mannschaften ergeben zusammen ein lineares Gleichungssystem aus einer 18×18-Matrix, die davon abhängt, welche Spiele absolviert wurden und einer rechten Seite, die aus den Ergebnissen ermittelt wird. Die Lösung des LGS ist ein Vektor aus den 18 Variablen für die einzelnen Teams. Diese Werte lassen sich (unter Berücksichtigung des Remisanteils der Liga) wieder zu Punktzahlen skalieren, die mit den tatsächlich erreichten Punkten verglichen werden können:
Die dynamische Tabelle nach acht Spieltagen
Ich habe diese neue Tabelle, die nach den korrigierten, um die Auswirkung der Gegnerstärke bereinigten Punktzahlen erstellt wurde, mit dynamische Tabelle überschrieben. Warum das? Am Freitagabend steht das Spiel Mainz – Dortmund an. Vergleichen wir die Auswirkungen eines denkbaren Mainzer Sieges auf die Tabellen. In der klassischen Tabelle erhielte Mainz 3 Punkte, Dortmund keinen, fertig.
In der dynamischen Tabelle passiert mehr: Jedes Ergebnis hat Auswirkungen auf alle anderen Mannschaften. Natürlich gewinnt zunächst einmal Mainz Punkte hinzu. Weil Mainz aber angesichts eine Sieges gegen den BVB stärker einzuschätzen ist, wirkt sich dies positiv für jene Mannschaften aus, die Mainz geschlagen haben: So gewinnt etwa Schalke für ihren Sieg gegen Mainz nachträglich 0,2 Punkte hinzu. Eine Niederlage gegen Dortmund hingegen scheint nicht mehr so »unvermeidbar« wie vorher, die Hertha verliert deswegen 0,1 Punkte. Diese Veränderungen bei Schalke und Hertha sorgen wiederum für minimale Veränderungen bei deren Gegnern (usw) und so ist die gesamte Tabelle in Bewegung.
Die neue Tabelle ist also dynamisch, weil sie die Liga als ein zusammenhängendes System auffasst. Anhand von Einzelergebnissen trifft sie Aussagen über die gesamte Liga, auch über scheinbar unbeteiligte Mannschaften – im Gegensatz zur klassischen Tabelle, in der sich jedes Spiel nur zwischen den zwei Teams abspielt, während die Wertung der anderen Mannschaften statisch und unberührt bleibt. Das folgende Diagramm zeigt einen Vergleich der aktuellen Punktzahlen mit den bereinigten Punktzahlen der dynamischen Tabelle.
Zur Erläuterung: Wiederum ist die klassische Punktzahl auf der Hochachse eingetragen, die bereinigte Wertung in der dynamischen Tabelle findet sich auf der Rechtsachse. Die eingezeichnete Diagonale ist die Gerade, auf der die Wertung in beiden Tabellen übereinstimmt. Ziemlich genau auf ihr finden sich Dortmund und Köln, bei denen klassische und dynamische Tabelle nahezu übereinstimmen.
Teams, die oberhalb der Diagonalen liegen, haben in der dynamischen Tabelle eine niedrigere Punktzahl als in der klassischen. Im Falle des FC Bayern liegt dies hauptsächlich daran, dass er schon deswegen ein leichtes Gegnerprogramm hatte, weil er nicht gegen sich selbst spielen musste. Ansonsten sei hierbei besonders der FC Schalke 04 hervorgehoben (bisher gegen Wolfsburg, Köln, Mainz, Darmstadt, Hamburg, Frankfurt, Bremen, Stuttgart).
Teams, die unterhalb der Diagonalen liegen, haben in der dynamischen Tabelle eine höhere Punktzahl als in der klassischen – ein Beispiel dafür ist Darmstadt (bisher gegen Bayern, Dortmund, Schalke, Leverkusen, Mainz, Hoffenheim, Bremen, Hannover). Eine weitere interessante Beobachtung: In der dynamischen Tabelle findet sich zwischen Frankfurt und Gladbach eine klare Abtrennung des Tabellenmittelfelds vom Tabellenkeller (links im Diagramm) – in der klassischen Tabelle sind diese beiden Teams punktgleich.
Es soll nicht unter den Tisch gekehrt werden, dass ein Teil der Veränderungen durch eine bloße Anwendung der 2-Punkte-Regel in die ähnliche Richtung geht, weil dadurch Unentschieden mehr und Siege weniger wertvoll werden. Dass die dynamische Tabelle aber weit mehr als eine 2-Punkte-Tabelle ist, zeigt etwa ein Blick auf das Trio Hertha-Köln-Ingolstadt: alle drei weisen die Bilanz 4 Siege, 2 Remis, 2 Niederlagen und damit nach 2- und 3-Punkte-Regel dieselbe Punktzahl auf, die Unterschiede von mehr als einem Punkt in der dynamischen Tabelle sind also allein dem Gegnerprogramm geschuldet, das »Doch!« aus der Einleitung ist umgesetzt.
Die dynamische Tabelle ist also eine Möglichkeit, aus nichts weiter als den Ergebnissen der gespielten Partien eine Rangfolge der Mannschaften zu erstellen, die unterschiedlich starke Gegner nicht ignoriert. Dass die entsprechenden Korrekturen relativ gering ausfallen, ist ein Anhaltspunkt dafür, diesen Kritikpunkt an der klassischen Tabelle als nicht allzu gravierend zu bewerten.
Dabei ist die dynamische Tabelle in der jetzigen Saisonphase aussagekräftiger, die Abweichungen von der klassischen Tabelle mutmaßlich größer als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt der Saison. In diesen Wochen sind die Gegnerprogramme maximal durchmischt. Dies kann man sich leicht klar machen: nach dem 1. Spieltag haben Team A und B gegen jeweils einen – unterschiedlichen – Gegner gespielt. Nach 17 Spieltagen sind sie jeweils gegen 17 Gegner angetreten – von denen 16 identisch sind. Je weiter ein Spieltag von diesen Extremen 1 und 17 entfernt ist, desto größer kann der Unterschied zwischen den Gegnerprogrammen von A und B werden; das Maximum sind 9 Unterschiede. Der achte Spieltag ist der einzige, an dem zwei Teams komplett unterschiedliche Gegnerprogramme aufweisen und dabei gemeinsam die gesamte Liga umfassen können:
Köln spielte gegen Schalke, Wolfsburg, Ingolstadt, Hertha, Hamburg, Frankfurt, Gladbach und Stuttgart. Leverkusen spielte gegen Bayern, Dortmund, Mainz, Darmstadt, Hoffenheim, Bremen, Augsburg und Hannover.
Oder auch:
Hertha spielte gegen Dortmund, Wolfsburg, Köln, Hamburg, Frankfurt, Bremen, Augsburg und Stuttgart. Mainz spielte gegen Bayern, Schalke, Ingolstadt, Leverkusen, Darmstadt, Gladbach, Hoffenheim und Hannover.
Und ohne dass ich im Einzelnen weiß, mit welchen Algorithmen und welcher Eingriffnahme der Spielplan der Bundesliga entsteht – dass solche Gegnerprogramme nach acht Spieltagen alles in allem beeindruckend fair verteilt sind und niemand von sich behaupten kann, ein gravierend schwierigeres Programm als ein Konkurrent gehabt zu haben, dass also die dynamische Tabelle nah an der klassischen liegt, spricht sicherlich auch für die Spielplanerstellung der DFL.














