Ein flitzsauberer Treffer

Ein Tor der ganz besonders kuriosen Art fiel in der honduranischen Erstligapartie zwischen Olimpia und Motagua: Die Gastgeber erzielten in der Nachspielzeit den Treffer zum 2:2 (im Video ab etwa 1:50 zu sehen), dabei befand sich ein junger Zuschauer auf dem Platz, der mit einem zweiten Ball am Fuß durch den Strafraum der Gäste dribbelte und ihn Sekundenbruchteile nach dem Torschuss ebenfalls ins Gehäuse von Motagua schob. Der Schiedsrichter gab das Tor trotzdem, was nicht nur die 11 Freunde in Erstaunen versetzte. Klären wir also auf, ob der Unparteiische richtig gehandelt hat. Dazu ist ein Blick ins Regelwerk unerlässlich. Dort heißt es in der Regel 3 (Spieler) unter dem Punkt »Erzielen eines Tors mit einer zusätzlichen Person auf dem Spielfeld«:

Wenn der Schiedsrichter nach dem Erzielen eines Tors und vor der Fortsetzung feststellt, dass sich eine zusätzliche Person auf dem Spielfeld befand, als das Tor erzielt wurde,
— gibt der Schiedsrichter den Treffer nicht, wenn die zusätzliche Person […] eine Drittperson ist, die ins Spiel eingegriffen hat, es sei denn, der Ball geht unabhängig vom Eingriff in das Tor […]
— gibt der Schiedsrichter den Treffer, wenn die zusätzliche Person […] eine Drittperson ist, die nicht ins Spiel eingegriffen hat.

Das heißt also zunächst einmal: Fällt ein Tor, wenn sich eine Drittperson (dazu zählen beispielsweise Zuschauer und Ordner) auf dem Platz aufhält, bedeutet das nicht automatisch, dass der Treffer annulliert werden muss. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Drittperson ins Spiel eingegriffen und dabei außerdem die Torerzielung beeinflusst hat. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Ausführung von Bedeutung, die ebenfalls in der Regel 3 zu finden ist, nämlich unter dem Punkt »Zusätzliche Personen auf dem Spielfeld«:

Wenn der Ball unabhängig vom Eingriff [hier: der Drittperson] ins Tor geht und kein Spieler des verteidigenden Teams am Spielen des Balls gehindert wurde, zählt der Treffer (selbst wenn es zu einem Kontakt mit dem Ball gekommen ist).

Das bedeutet beispielsweise: Selbst wenn ein Zuschauer auf der Torlinie steht und den Ball, der eindeutig ins leere Tor gehen würde, zu klären versucht, ihn jedoch nur noch abfälschen kann, ist der Treffer gültig. Hindert dieser Zuschauer jedoch Spieler der verteidigenden Mannschaft (wozu natürlich auch der Torwart zählt) in irgendeiner Weise am Spielen des Balles, dann zählt das Tor nicht, und es gibt einen Schiedsrichter-Ball.

In Bezug auf die Partie in Honduras wäre also zu fragen: Hat der Zuschauer einen Spieler von Motagua am Spielen des Balles gehindert? Nun, die Abwehrspieler wirken von seiner Präsenz jedenfalls unbeeindruckt, und auch der Keeper hätte wohl so oder so keine Chance gehabt, den Einschlag zu verhindern. Aber was ist mit dem zweiten Ball, den der Zuschauer mit auf den Rasen brachte und schließlich aufs Tor kickte? Dazu heißt es in der Regel 5 (Schiedsrichter) unter dem Punkt »Eingriffe von außen«:

[Wenn] bei laufendem Spiel ein zweiter Ball, ein anderes Objekt oder ein Tier aufs Spielfeld gelangt, so muss der Schiedsrichter das Spiel nur dann unterbrechen und mit einem Schiedsrichter-Ball fortsetzen, wenn das Spielgeschehen gestört wurde. Wenn der Ball unabhängig vom Eingriff ins Tor geht und der Eingriff keinen verteidigenden Spieler am Spielen des Balls gehindert hat, zählt der Treffer (selbst bei einem Kontakt mit dem Ball).

Wurde das Spielgeschehen durch den zweiten Ball gestört oder ein verteidigender Spieler am Spielen des Balles gehindert? Siehe oben. Es ändert sich also nichts am Sachverhalt. Und deshalb hat der Referee das Tor tatsächlich zu Recht gegeben.

19 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo, Alex, hallo, Klaas,

    weiß nicht, ob ihr es schon gesehen habt, aber hier eine neue Variante des Verhaltens bei verletztem Spieler auf dem Spielfeld aus dem niederländischen Fußball:
    http://tv.sport1.de/player/player.php?id=k0_peqs4i72&playlist=0_y8s3i6xf&backid=s591499

    Falls das Video schon von der Seite genommen worden sein sollte, hier die Beschreibung:
    Ein Stürmer geht halbrechts vor dem gegnerischen Strafraum in einem Zweikampf zu Boden und bleibt liegen. Schiedsrichter unterbricht das Spiel NICHT. Die Mannschaft des Stürmes bleibt in Ballbesitzt und ein Mitspieler (M) bekommt auf dem rechten Flügel auf Höhe des Strafraums den Ball.
    Als sein Gegenspieler ihn angreifen möchte, macht M eindeutigen Gesten, dass er den Ball ins Seitenaus schießen möchte. Als der Gegenspieler stehen bleibt, spielt M ihn stattdessen aus und schlägt eine Flanke.

    • Vielen Dank! Das wurde uns auch via Twitter und Facebook reingespült, und weil ich selbst nicht ganz sicher war, wie da am besten zu entscheiden ist, habe ich den Verbandslehrwart gefragt. Herausgekommen ist Folgendes: Regeltechnisch ist das zunächst einmal eine Grauzone. Grundsätzlich kann ein Spieler das Spiel nicht einfach unterbrechen, das ist bekanntlich die alleinige Sache des Schiedsrichters. Der hatte aber eindeutig den Vorteil und damit »Weiterspielen« angezeigt. Allerdings ist die unsportliche Absicht des Spielers klar erkennbar, und der Gegner bleibt ja auch nur deshalb weg, weil ihm signalisiert wird: Warte mal, da liegt einer verletzt am Boden. Deshalb würde es – selbst wenn der Trick rein regeltechnisch zu vertreten ist – dem Fair-Play-Gedanken widersprechen, wenn man das einfach durchgehen ließe. Insofern wäre hier eine (möglichst schnelle) Spielunterbrechung die bessere Lösung. Folgen müssten dann eine Verwarnung und ein indirekter Freistoß.

  2. ¡Hola!

    An dieser Stelle die Frage: hat jemand nen guten Tipoder ne Empfehlung für Fussball in Honduras (und El Salvador) ? Wann und wo z. B. …

    • Das würde ich auch gerne mal Wissen :)
      Könnte mal wieder eine neue gebrauchen.

      Beste Grüße
      Manni

  3. Hallo, Alex,

    ich habe mir heute die neue Schiedsrichter-Zeitung heruntergeladen. Dabei ist mir folgender Textabschnitt in der Analyse von Herrn Lüttig und Herrn Werthmann aufgefallen.

    „Regel 12, Kapitel 2: „Ein Torhüter
    darf nicht von einem Gegner
    angegriffen werden, wenn er den
    Ball mit den Händen kontrolliert.“
    Das ist der Grundsatz, wobei
    „Ball in den Händen“ nicht nur
    bedeutet, ihn mit beiden Händen
    festzuhalten, sondern auch ihn
    „mit einer Hand gegen eine Oberfläche
    (zum Beispiel am Boden,
    gegen den eigenen Körper)“ zu
    drücken „oder ihn auch mit einem
    Teil der Hand oder des Arms“ zu
    berühren.
    ES GENÜGT ALSO AUCH EIN FINGER
    AUF DEM BALL, DAMIT ER VON EINEM
    ANGREIFER NICHT MEHR GESPIELT
    WERDEN DARF. Daher war es in
    diesem Fall absolut richtig, den
    Dortmunder Treffer abzuerkennen.“

    Anscheinend wird hier doch die „alte“ Regelauslegung präferiert bzw. gesagt, dass es keine neuere, gibt.

    Bis hoffentlich bald
    Mit sportlichen Grüßen
    Joaker

  4. 6 Monate schon ohne Podcast?
    Habt Ihr die Lust verloren? Das wäre sehr schade.

    Wobei das Sendeschema, jede kritische Entscheidung vom letzten Spieltag durchzuhecheln, sich doch etwas totgelaufen hat

    Vielleicht sind ja die neuen Änderungsvorschläge der IFAB ein neuer Anreiz. (Siehe Kicker: Spielzeit 2×30 Minuten: IFAB erwägt Regeländerungen
    http://www.kicker.de/news/fussball/intligen/startseite/680232/artikel_spielzeit-2×30-minuten_ifab-erwaegt-regelaenderungen.html)

    • Nein, wir haben nicht die Lust verloren, keine Sorge. Aber examensbedingt gab es zuletzt gezwungenermaßen andere Prioritäten. Im Juli wollen wir mit einem großen Saisonrückblick zurückkommen, und zur neuen Saison wird sich die Frequenz dann hoffentlich wieder erhöhen.

  5. Da hier ja offenbar noch reingeschaut wird, hätte ich eine Frage:

    Beim Confed Cup Spiel zwischen Deutschland und Kamerun kam es kurz vor Schluss zu einer Szene, bei der Timo Werner an der Mittellinie allein durchstartet und mit dem Ball frei auf das Tor zulaufen kann. Er wird allerdings wegen Abseits zurückgepfiffen – eine Fehlentscheidung, wie die Wiederholung zeigte, denn er war noch vor der Mittellinie losgerannt.

    Doch angenommen, er wäre einfach weitergelaufen, die (vermutlich) zunehmend hektischer werdenden Pfiffe des Schiedsrichters ignorierend, und hätte den Ball nach 50 Metern am schulterzuckenden Torwart vorbei ins Tor geschoben. Wäre dann der Videobeweis fällig gewesen? Es geht ja nun um eine Torerzielung und nicht mehr nur um einen Abseitspfiff.

    Wenn ja, dann wäre es für Spieler in Zukunft doch generell sinnvoll, bei Abseitspfiffen prinzipiell immer erstmal auf die Torerzielung zu gehen, in der Hoffnung, dass der Videobeweis die Entscheidung als Irrtum entlarvt?

    • Da sind die Regeln klar: Jeder Pfiff unterbricht automatisch das Spiel. Deshalb würde der Videobeweis in deinem Szenario nicht greifen. Er wäre schlicht nicht möglich.

      In der Bundesliga sind die Assistenten grundsätzlich angehalten, beim Abseits eher einen Tick länger mit der Entscheidung zu warten, und die Spieler sollen nicht schon beim Fahnenzeichen aufhören zu spielen, sondern erst bei einem Pfiff des Schiedsrichters. Der Hintergrund ist natürlich, dass eine zu Unrecht abgewunkene Torchance nicht wiederhergestellt werden kann, während ein Tor immer noch annulliert werden kann, falls der Videobeweis ergibt, dass es aus einer Abseitsposition heraus erzielt worden ist.

      Dazu muss man aber natürlich sagen, dass ein Assistent sich immer noch völlig sicher sein kann, dass ein Abseits vorliegt, und dann wird er auch die Fahne heben. Wenn sich dann herausstellt, dass er falsch lag, ist das eben Pech. Sagen muss man außerdem, dass sich der Videobeweis nun mal erst einspielen muss. Was wir derzeit erleben, sind die Kinderkrankheiten, zumal die Teams nicht eingespielt sind. Das Ganze ist ja für alle Beteiligten neu, das darf man nicht vergessen.

      • Ah, das leuchtet ein, danke. Also kann ein zu Unrecht aberkanntes Tor nur dann per Videobeweis wiederhergestellt werden, wenn die Aberkennung erst nach der Torerzielung erfolgte.

  6. Mal eine Frage zu gestern, als Jara nach Videobeweis Gelb sah. Ist das überhaupt erlaubt? Denn der SR hat ja überhaupt nichts gesehen, un wenn ich das richtig verstanden habe, darf man nur überprüfen, ob Rot oder nicht.

    Insgesamt hoffe ich doch, dass die Umsetzung in der Bundesliga besser läuft. Was beim Confed Cup gelaufen ist, war teilweise haarsträubend. Viel zu lange und dann nicht nachvollziehbare Entscheidungen wie das nicht gegebene Foul an Chile in der Verlängerung gegen Portugal.

    Macht es gut!

  7. Ich hätte auch noch eine Frage, ausnahmsweise nicht zum VAR. :)
    In den Kommentaren der „3rd Team“ Website war zu lesen, dass die Benotung der Schiedsrichter in Deutschland abgeschafft werden soll (oder schon abgeschafft wurde?). Ist das so und wenn ja, gibt es dafür eine offizielle Begründung? Und was haltet ihr von dieser Änderung?

    • Ja, das ist so, die Noten werden abgeschafft. Steht so auch in der neuen Schiedsrichter-Zeitung. Dort schreibt Fröhlich im Editorial: »Auch das Bewertungssystem der Elite-Schiedsrichter verändert sich. Künftig wird das Coaching spielklassenspezifisch durchgeführt. Florian Meyer, Rainer Werthmann und Wolfgang Stark werden sogenannte ›Coaching-Teams‹ für die Bundesliga, 2. Bundesliga und 3. Liga koordinieren. Es wird dann künftig auch keine Noten mehr für Schiedsrichter-Leistungen geben. Unser Ziel ist es, die Spielnachbereitung stärker an Inhalten und Entwicklungspotenzialen zu orientieren statt an Diskussionen um Noten.« Wir werden darauf im Podcast eingehen.

  8. Es ist der 17. Juli, und ich warte sehnlichst auf Euch. Ist aber wirklich kein Vorwurf.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.