Vor den Halbfinalspielen der Weltmeisterschaft in Brasilien gibt es eine Menge Aufregung um etwas, das am Montag von einer großen deutschen Boulevardzeitung als »geheime FIFA-Anordnung an die Schiedsrichter« verkauft und später von anderen Medien gar als »Geheimplan« bezeichnet wurde. Gemeint ist eine nicht-öffentliche Direktive der Schiedsrichter-Kommission des Weltfußballverbands, nach der die Unparteiischen bei der WM in ihren Spielen so lange wie möglich mit der ersten Gelben Karte warten und auf Vergehen im Zweifels- respektive Grenzfall mit einer Ermahnung reagieren sollen. Nachdem der brasilianische Starspieler Neymar im Viertelfinale durch ein Foul des Kolumbianers Juan Zúñiga schwer verletzt worden war, gaben unter anderem der Ex-Profi Mehmet Scholl (»Das kommt dabei raus, wenn die Schiedsrichter nicht die Vorgabe haben, brutale Fouls zu stoppen«), der frühere FIFA-Schiedsrichter Urs Meier (»Die FIFA hat mitzuverantworten, dass Neymar ausfällt; die Messlatte für Gelbe Karten ist viel zu hoch«) und das erwähnte Boulevardblatt (»Die Anordnung führt in letzter Konsequenz zu Fouls wie im Fall Neymar«) der FIFA eine Mitschuld an dieser Verletzung.
Die Empörung ist also groß, dabei ist es an der Zeit, die Debatte zu versachlichen. Zunächst einmal ist der vermeintliche Geheimplan nichts, was erst gestern durch die besagte Zeitung »enthüllt« worden wäre. Das Projekt »The 3rd Team« – ein internationales, englischsprachiges Webportal von und für Referees, das regelmäßig exzellente Fachanalysen publiziert, beste Kontakte zu FIFA-Schiedsrichtern unterhält und über Informationen aus erster Hand verfügt – hatte bereits am 18. Juni auf die Direktive hingewiesen und sie kritisch kommentiert. Auch wir haben sie in unserem Podcast, bei DRadio Wissen, bei n-tv und auf Twitter frühzeitig und mehrmals thematisiert. Hinzu kamen faktische Bestätigungen durch die deutschen Schiedsrichter-Funktionäre Herbert Fandel und Hellmut Krug in verschiedenen Interviews. Doch selbst, wenn die Existenz dieser Richtlinie für die Unparteiischen nicht bekannt (geworden) wäre: Wenn nahezu alle 25 Referees beim wichtigsten Fußballturnier der Welt Übertretungen der Regeln, für die es zuvor immer Gelbe Karten gegeben hat, nicht mit einer Verwarnung ahnden – genannt seien vor allem taktische Fouls und »Schwalben« –, scheidet auf diesem Niveau der Zufall als Grund schlichtweg aus. Hier handelt es sich vielmehr um eine Regelauslegung, die nur von der Schiedsrichter-Kommission der FIFA vorgegeben worden sein kann.
Derartige Anweisungen an die Schiedsrichter sind auch gar nichts Ungewöhnliches, ganz im Gegenteil. Die Referees sind vor dem Turnier zweimal von der FIFA zu mehrtägigen Lehrgängen zusammengezogen worden, und auf solchen Lehrgängen wird nicht nur die körperliche und regeltechnische Fitness festgestellt. Es geht dabei auch und nicht zuletzt darum, den Spielleitern und ihren Assistenten – im Sinne einer möglichst einheitlichen Linie – mit auf den Weg zu geben, worauf sie besonders achten und bei welchen Geschehnissen sie eher großzügig sein sollen. Auch die Bundesliga-Schiedsrichter kommen regelmäßig zu Treffen zusammen und werden dort von der Schiedsrichter-Kommission des DFB instruiert. Im Unterschied zur FIFA äußert sich der DFB allerdings öffentlich dazu, was er von seinen Unparteiischen verlangt. Insbesondere vor dem Beginn einer Saison liest man regelmäßig Interviews beispielsweise mit dem Schiri-Chef Herbert Fandel, der deutlich macht, dass die Referees künftig etwa Ellbogeneinsätze im Luftkampf, »offene Sohlen« oder Handspiele mit besonderer Konsequenz ahnden sollen.
Dass die FIFA und der Vorsitzende ihrer Schiedsrichter-Kommission, der Schweizer Massimo Busacca, diesbezüglich deutlich weniger Transparenz walten lassen, gehört zu den Ärgernissen dieses Turniers. Die erwähnte Direktive ist zwar nicht im eigentlichen Sinne geheim, weil man ihre Umsetzung in fast jedem Spiel beobachten kann. Aber dadurch, dass sie der Öffentlichkeit nicht vorgestellt und erläutert wurde, hat sich nun ohne Not ein riesengroßer Raum für Spekulationen aufgetan, nicht nur im Boulevard. »Die ohnehin enormen Emotionen werden weiter aufgeheizt, auf Rasen, Rängen und vor den Fernsehern«, schreibt beispielsweise Thomas Kistner in der Süddeutschen Zeitung. »Denn was mit so einer Fußball-WM wirklich verkauft wird, wenn der halbe Planet zuschaut und sich Einschaltquoten der 100-Prozent-Marke annähern, ist ja nicht Fußball. Sondern: Emotion.« Außerdem profitiere der Gastgeber Brasilien – trotz des Ausfalls von Neymar – mit seiner »taktischen Foulerei« in besonderem Maße von der Nachsichtigkeit der Unparteiischen. Es bestätige sich, so Kistner, »was vor dieser WM wie vor jeder WM zu befürchten war: dass es ein wenig Anschubhilfe geben könnte«, weil »der Verbleib des Gastgebers im Turnier nun mal der Kernfaktor für Stimmung und Vermarktungschancen der Party ist«.
Eine Art »Lex Brasilien« also? Natürlich wurde das von FIFA-Direktor Walter de Gregorio umgehend dementiert: »Nur die Idee, dass es einen Geheimplan geben könnte, ist absurd. Man muss nur den gesunden Menschenverstand walten lassen und sich fragen, was das bringen soll. Wir sind dafür da, die Spieler zu schützen. Was für ein Interesse sollten wir haben, für mehr Spektakel die Verletzung von Spielern zu riskieren? Wir alle wollen Neymar spielen sehen.« Was aber könnte Massimo Busacca dann bewogen haben? Womöglich wollte er sich, wie der Boulevard mutmaßt, »nach dem Turnier für eine WM mit möglichst wenigen Gelben Karten feiern lassen«. In jedem Fall sei die Situation für die FIFA nicht einfach, resümiert Christian Spiller auf Zeit Online: »Lässt sie und ihre Schiedsrichter zu viel durchgehen, bekommen die Stars pro Turnier viele, viele Tritte ab. […] Die entscheidenden Spiele ohne die entscheidenden Akteure, das kann auch der spektakelsüchtigen FIFA nicht gefallen. Greifen die Unparteiischen jedoch zu hart durch, setzt sich der Weltverband dem Vorwurf aus, er würde seine Posterboys, die ihm das Geld verdienen, meist sind das Offensive, besonders schützen und bevorzugt behandeln. Dann würden die Abwehrspieler protestieren und fragen, wieso jeder harte Defensivzweikampf sofort unter Generalverdacht stehe, während die Künstler machen können, was sie wollen.« Ein Dilemma also.
Spiller weist zudem mit Recht darauf hin, dass von einer »Treter-Weltmeisterschaft« keine Rede sein könne und dass das Foul an Neymar nicht »mit den Brutalitäten und Tätlichkeiten dieser WM in eine Reihe zu stellen« sei, etwa mit dem Biss von Luis Suárez oder dem Ellbogenschlag das Franzosen Mamadou Sakho. Der Kolumbianer Juan Zúñiga habe »in dem folgenschweren Zweikampf nur auf den Ball« geschaut, so Spiller weiter, »seine Aktion wirkte eher ungeschickt als vorsätzlich«. In der Tat deutete in dieser Szene – zumal, wenn man sie in der Realgeschwindigkeit betrachtet – nichts auf ein gesundheitsgefährdendes Foulspiel hin. Es handelte sich regeltechnisch um ein Anspringen, und wenn man bedenkt, dass die Regeln hinsichtlich der Strafzumessung zwischen fahrlässig (keine Karte), rücksichtlos (Gelbe Karte) und brutal (Rote Karte) unterscheiden, kann man Zúñigas Einsteigen guten Gewissens zwischen der ersten und der zweiten Kategorie einordnen. Dass Schiedsrichter Carlos Velasco Carballo mit seiner allzu nachsichtigen Disziplinarkontrolle – die durch die FIFA-Direktive zwar begünstigt wurde, aber keineswegs nur auf sie zurückzuführen ist – zum Rekordwert von 54 Fouls beitrug, ist gleichwohl unstrittig.
Ungeachtet der Frage, was sich die FIFA-Schiedsrichter-Kommission davon versprochen haben mag, ihre Unparteiischen auf eine äußerst zurückhaltende Linie bei den Gelben Karten einzuschwören, bleibt zweierlei festzuhalten: Zum einen, dass es nicht sinnvoll war und ist – schon gar nicht vor einer Weltmeisterschaft –, mit dem bewährten Grundsatz zu brechen, dass eine Verwarnung vor allem rechtzeitig erfolgen muss, das heißt: so früh wie nötig und so spät wie möglich. Der richtige Einstieg in die persönlichen Strafen ist für jeden Referee in allen Klassen unerlässlich, sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts als auch in Bezug auf das Vergehen. Zum anderen, dass sich die Schiedsrichter bei dieser WM angesichts der Hypothek, die ihnen auferlegt worden ist, weit besser geschlagen haben, als große Teile der Öffentlichkeit finden. Ausreißer nach unten gab es nicht häufiger als bei früheren Weltmeisterschaften. Auch das ist, übrigens, kein Geheimnis.
Lesetipp: »Schirichefschelte« von Heinz Kamke, veröffentlicht auf dessen Weblog »Angedacht«.
Traurig aber wahr…so funktioniert leider der Boulevard: Es musste erst was passieren, dass man so etwas in großen Lettern in der Blöd-Zeitung abdruckt. Gewusst haben sie es bestimmt schon vor dem Eröffnungsspiel, nur die Schlagzeile wird es eben erst, wenn was passiert…ich danke Dir für diese Textsonderausgabe! Sehr gut geschrieben Alex!!
Grüße,
Seb
Nach meiner Wahrnehmung gab es bei den letzten Weltmeisterschaften einige Kritik bezüglich der Gelbsperren, weil wichtige Spieler in entscheidenden K.O-Spielen gesperrt waren.
Daraufhin wurde ja auch 2010 insofern reagiert als das ein Sperre im Finale nicht mehr möglich war. Für die Halbfinalpartien hat sich dadurch allerdings nichts geändert. Ich erinnere mich da an die Sperre von Thomas Müller im Halbfinale gegen Spanien.
Meiner Meinung nach zielt die Direktive auch darauf ab dieses Problem zu umschiffen, indem wenige gelbe Karten natürlich auch zu wenigen Gelbsperren führen. Vor der Partie Brasilien – Kolumbien waren afaik 6 Spieler vorbelastet und nur ein Spieler hat die 2. gelbe Karte bekommen. Letztlich muss man ja spätestens jetzt sagen, dass es so nicht funktionieren kann.
Vielleicht wäre es sinvoller die Gelbsperre auf 3 Spiele anzuheben. 2 Gelbe Karten sind nach normalen Vergabemaßstäben auch bei recht fairer Spielweise schnell erreicht (insbesondere in umkämpften K.O.-Spielen und Spielen über 120 Minuten aufgrund von Verlängerung).
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2 ganz andere Dinge
1) Eine Sache, die mir gestern beim Besuch eines Testspiels einfiel:
Der Begriff Testspiel impliziert, dass Trainer und Mannschaften etwas ausprobieren. Gestern habe ich mich gefragt, ob Schiedsrichter solche Spiele auch für Tests verwenden.
Passiert es, dass Schiedsrichter in einem Testspiel eine (von ihrer sonstigen Linie abweichenden) andere Art der Spielleitung wählen. So nach dem Motto: „Heut pfeif ich aber alles/ gar nichts ab und schau, was dabei rauskommt“ oder nimmt man so ein Spiel wahr wie jedes andere.
2) Im letzten Podcast war die Rede von Verlängerungen und wie diese sich auf die Konzentration der handelnden Akteure auswirken. Alex hast du einmal ein Spiel in Verlängerung leiten/ winken müssen, und wenn ja, wie schwierig ist dann wirklich? Das Tempo der Spieler( des Spiels ist in den allermeisten Fällen ja auch nicht mehr das höchste. Spieler haben oft Krämpfe, bei Schiedsrichtern wäre mir das noch nie aufgefallen, obwohl die ja mit die größte Laufleistung vollbringen müssen. Wie geht das zusammen?
Zu 1) Ich selbst habe solche Testspiele eigentlich nie benutzt, um im Wortsinne etwas auszuprobieren, und die Kollegen tun das normalerweise auch nicht. Eher schon versucht man, Erkenntnisse aus bisherigen Spielleitungen umzusetzen, Schlüsse daraus zu ziehen und den Praxistest zu machen. Wenn die Beobachter in der Vorsaison beispielsweise mehrfach kritisiert haben, dass die Ermahnungen von Spielern nicht wirksam genug ausfallen (oder überzogen sind), die Gelben Karten zu früh (oder zu spät) kommen, die Laufwege verbesserungsbedürftig sind oder die Körpersprache zu zurückhaltend (oder zu theatralisch) ist, dann wird man als Schiedsrichter die Testspiele vor dem Beginn der nächsten Saison dazu nutzen, um diese Dinge zu ändern und zu schauen, wie man damit klarkommt. Vielleicht feilt man auch ein bisschen an seiner Taktik. Letztlich sind es Trainingseinheiten unter Wettkampfbedingungen, ohne dass der ganz große Druck da ist.
Zu 2) Ich hatte diverse Spiele mit Verlängerung (und Elfmeterschießen), und es war schon jedes Mal eine Herausforderung, jetzt noch mal 30 Minuten zu rennen, sich zu konzentrieren und aufmerksam zu sein. Klar, auch die Spieler lassen konditionell und von der Konzentration her nach. Aber das führt nicht dazu, dass man als Schiedsrichter weniger gefordert ist – eher im Gegenteil, weil oft unvorhergesehene Dinge passieren und konditionelle Schwächen auch gerne mal zu einer Häufung von Fouls und Unsportlichkeiten führen, auf die man dann zu reagieren gezwungen ist. Krämpfe hatte ich glücklicherweise nie.
Dass Schiedsrichter eher selten bis gar nicht dazu neigen, Krämpfe zu bekommen, wird auch damit zusammenhängen, dass sie keine Zweikämpfe bestreiten müssen. Ein Muskel, der permanent „Schläge“ abbekommt, macht sicher eher zu als einer, der normal und gleichmäßig belastet wird.
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hey, was ist denn mit Elfmetern, die noch reinrollen? Während eines Spiels müsste das doch noch als Tor gewertet werden. So auch im Elfmeterschießen?
siehe:
https://www.youtube.com/watch?v=2R1AyIV-tQM
herzlichste Grüße und vielen vielen Dank für euren Podcast!
Laut diesem Artikel:
http://www.express.de/fussball/nicht-regelkonform-kurioses-elfmetertor–spiel-wird-wiederholt,3186,8548344.html
hätte das Tor wohl auch dann nicht zählen dürfen.
„Das Reglement besagt, dass ein Elfmeter (anders als im laufenden Spiel) abgeschlossen ist, sobald der Ball von Pfosten, Latte oder Torwart zurück ins Spielfeld springt und den Boden berührt. Es sei denn, er springt auf der Linie oder unmittelbar davor auf.“
Alex hat allerdings auf Twitter geschrieben, dass das Tor gezählt hätte, was mich nun ein wenig verwirrt.
Zum kuriosen Elfmeter von Vlaar im Halbfinale zwischen den Niederlanden und Argentinien (ich mache es hier mal etwas ausführlicher, weil es viel Verwirrung darum gibt und ich auch auf Twitter auf diesen Kommentar verlinken möchte):
1. Es gibt eine Amateuraufnahme, die zeigt, wie der Ball nach dem vom argentinischen Torwart gehaltenen Schuss ans Gestänge springt und dann ein wenig Drall bekommt. Er trudelt schließlich Richtung Linie und bleibt dann liegen. Die Frage lautet: Vor oder hinter der Linie? Hier ist das Video: http://youtu.be/2R1AyIV-tQM
2. Die Torlinientechnologie ist auch während eines Elfmeterschießens aktiv, das heißt: Hätte der Ball die Linie überschritten, dann hätte der Schiedsrichter ein Signal bekommen. Diese Aufnahme hier lässt vermuten, dass die Linie nicht überschritten wurde: https://vine.co/v/MxBLtbXX5P0
3. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Vlaar den vom Gestänge wegspringenden Ball noch einmal berührt, nämlich mit der Schulter. Dadurch erübrigt sich die Frage, ob das Tor gezählt hätte, wenn der Ball vollständig über die Linie gerollt wäre, denn der Schütze darf den Ball kein zweites Mal berühren, weil im Elfmeterschießen kein Nachschuss möglich ist. http://youtu.be/J2CBthlrVDg
4. Was aber wäre passiert, wenn Vlaar den Ball nicht mehr berührt hätte und er vollständig hinter die Torlinie gerollt wäre? Hätte das Tor gezählt? In verschiedenen Medien war sinngemäß zu lesen, laut FIFA-Reglement für die WM 2014 sei die Wirkung eines Elfmeters (im Elfmeterschießen) eingetreten, wenn der Ball vom Pfosten, von der Latte oder vom Torhüter nach vorne, also ins Feld wegspringe. Ich habe in diesem Reglement nachgesehen, aber keine entsprechende Ausführung finden können.
5. In den offiziellen Fußballregeln findet sich in den Ausführungen zum Elfmeterschießen ebenfalls nichts in der erwähnten Richtung. In der Regel 14 (Strafstoß) dagegen heißt es: »Ein Strafstoß […] gilt auch dann als verwandelt, wenn der Ball, bevor er die Torlinie zwischen den Pfosten und unterhalb der Querlatte überschritten hat, einen oder beide Pfosten und/oder die Querlatte und/oder den Torwart berührt. Der Schiedsrichter entscheidet, wann der Strafstoß als ausgeführt gilt.«
6. Im Bereich des DFB wird seit Jahren gelehrt, dass der Schiedsrichter beim Elfmeterschießen bei jedem Schuss die Wirkung abwarten muss. Die Wirkung ist demnach erst dann gegeben, wenn der Ball entweder ins Tor geht oder nicht mehr ins Tor gehen kann. In Übereinstimmung mit den unter Punkt 5 genannten Ausführungen in der Regel 14 ist ein Tor auch dann erzielt, wenn der Ball, nachdem er vom Pfosten, von der Latte und/oder vom Torwart weggesprungen ist, langsam ins Tor trudelt. Diese Auslegung ergibt sich daraus, dass im unter Punkt 5 erwähnten Zitat kein Zeitraum genannt ist, der zwischen dem Wegspringen von Pfosten oder Latte oder/und der Abwehr des Torwarts und dem Überschreiten der Torlinie vergehen muss.
7. Die Regelauslegungen des DFB erfolgen normalerweise in Abstimmung mit der FIFA, deshalb ist davon auszugehen, dass die FIFA keine abweichenden Bestimmungen erlassen hat. Demnach wären die unter Punkt 4 erwähnten Darstellungen in den Medien nicht richtig. Ich kann aber natürlich nicht ausschließen, etwas übersehen zu haben.
Diese Debatte um „Wann ist die Wirkung des Strafstoßes erzielt?“ ist ja nicht neu und es gab schon dieverse Vorfälle wo Bälle sehr spät noch reintrudelten (bspw. https://www.facebook.com/photo.php?v=414143985374858 (Facebook-Link) oder vor einigen Jahren in einem DFB-Pokalspiel). Am Ende fehlt aber, soweit ich weiß, tatsächlich eine Definition von Wirkung erzielt, ich habe aber im Rahmen einer Forendiskusion mir mal folgenden Text gemerkt:
„Die Wirkung des Strafstoßes (hier natürlich nur beim Strafstoßschießen oder beim Strafstoß, der trotz Ablauf der Spielzeit noch auszuführen ist) ist erfolgt, wenn der Ball das Spielfeld verlassen hat, selbiger sicher vom Torwart gefangen wurde, er ausgelaufen ist und ruht, der Schütze den Ball erneut berührt oder nach menschlichem Ermessen das Tor ohne Dritteinwirkung (also außer Schütze und TW) nicht mehr erreichen wird. Hier gilt im Zweifelsfall die Analogie zum Abseits ‚wait and see'“
Ich finde, das ist eine sehr schöne Definition, die insbesondere in diesen Situationen eine einheitliche und regelkonforme Auslegung ermöglicht.
Einheitlich vielleicht nicht unbedingt, dafür lässt der Terminus »nach menschlichem Ermessen« etwas zu viel Spielraum. Genau deshalb gefällt mir die Definition aber. Denn wenn der Ball ganz besonders gemächlich ins Tor trudelt, während der Torwart schon feiert und der Schütze leidet, ist das zwar kurios und spektakulär, entspricht aber eher nicht dem Geist der Regeln. Denn das, was ich da unter Punkt 5 zitiert habe, ist vor allem für diejenigen Fälle niedergeschrieben worden, in denen der Ball in Sekundenbruchteilen vom Pfosten auf den Rücken des Torwarts springt und von dort dann ins Tor. Die Definition gibt aber eben auch die Auslegung her, dass ein Ins-Tor-Trudeln des Balles, während alle schon abgeschaltet haben, möglich ist. Da hätte ich gerne mal eine endgültige Klarstellung seitens der FIFA.
Das war auch ein solcher „Reintrudler“: https://www.youtube.com/watch?v=_6-4vyrtWd8
In Italien hat der Verband bei einem ähnlichen Fall entschieden, dass „Das Reglement besagt, dass ein Elfmeter (anders als im laufenden Spiel) abgeschlossen ist, sobald der Ball von Pfosten, Latte oder Torwart zurück ins Spielfeld springt und den Boden berührt. Es sei denn, er springt auf der Linie oder unmittelbar davor auf.“
Vielen Dank für diese interessante und auch Finalschiri-prognostisch aufschlußreiche Folge, die ich gerade erst nachhörte.
Zum Foul, das Neymar außer Gefecht setzte, habe ich noch zwei Anmerkungen:
Am TV sah man Neymar von schräg vorn, konnte also nur erahnen, dass der Stoß Richtung Wirbelsäule ging. Ich bin aber quasi beim Anschauen aufgesprungen, weil ich es für höchst gefährlich hielt. Man muss doch kein Arzt sein um zu ahnen, was bei einem solchen Stoß gegen die Wirbelsäule passieren kann. Ob die Gesundheit der Spieler mit „Gelb“ bei einem Angriff von hinten auf eine besonders gefährdete Körperzone ausreichend geschützt ist, wäre zu diskutieren.
Noch problematischer fand ich aber die Krankenversorgung. Neymar zeigte ja Zeichen heftiger Schmerzen. Ich schrieb gleich auf Twitter, dass sie ihn hoffentlich nicht in der Wanne abtransportieren. Sie rollten ihn aber hinein. Ich konnte da nicht hinschauen.
Es ist die Frage, wie die Kommunikation zwischen Mannschaftsarzt und Schiri gelaufen ist. Letztendlich muss ein Arzt entscheiden, was passiert. Von einem Top-Schiri kann man m.E. auch erwarten, dass er für Notwendigkeiten medizinischer Erstversorgung sensibilisiert ist.
Bei den möglichen Folgeschäden des Stoßes und Neymars Reaktion hätte es unbedingt Spielunterbrechung bis zu einem qualifizierten Abtransport (Vakuummatratze etc.) geben müssen. https://bomedus.com/service/wissen/wirbelkorperfrakturen-die-verletzung-des-brasilianischen-fussballstars-neymar/
Viele Grüße
Stefan/@nobilor
Aus meiner Sicht erwartest du da zu viel vom Schiedsrichter. Seine Aufgabe ist es, das medizinische Personal auf den Platz zu rufen, wenn der Spieler darum bittet und/oder der Referee den Eindruck hat, dass das dringend erforderlich ist. Das ist hier geschehen. Ob es sinnvoll war, Neymar in diese Wanne zu legen, oder ob er anders hätte abtransportiert werden müssen, hat der Unparteiische nicht zu entscheiden. Und das ist aus meiner Sicht auch gut so. Er soll das tun, was er am besten kann, nämlich das Spiel leiten. Andere sollen im Fall der Fälle das tun, was sie am besten können, nämlich medizinische Hilfe leisten. Es ist nicht die Aufgabe des Referees, ihnen da hineinzureden.
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Zwei Sachen die mir beim Endspiel aufgefallen sind und die ich mal nachfragen wollte
1) Neuers hartes Einsteigen („Einfliegen“ ?) gegen Higuain an der Strafraumgrenze
Das Bild bei dem er ihn mit dem Knie am Kopf trifft ist schon beim zusehen schmerzhaft. Nun gab es ja vor ein paar Jahren eine Aenderung der Regelauslegung die die Torhuetern dazu brachte bei Eckbaellen sich nicht mehr mit dem Knie Platz zu schaffen. Wuerde das nicht auch auf eine solche Situation zutreffen ? Und da eses ja ein sagen wir mal untypischer Ort fuer solch ein Eingreifen des Torwarts war, wuerde sich das auf die interpretation auswirken ? Und als letztes was wurde da als Faul an Neuer gewertet ?
2) Gehirnerschuetterungen
Wenn ich es richtig sehe hatte wir 4 Faelle von (moeglichen) Gehirnerschuetterungen bei der WM (bei England – Urugay -> Alvaro Pereira, Holland – Argentinien ->Javier Mascherano, Deutschland – Argentinien -> Kramer und Higuain). Das kommt mir recht haeufig vor, seht ihr das genauso ? Auch sollte die Fifa nicht Regeln einfuehren die eine explizite Freigabe der Spieler durch einen Arzt bei solchen zusammenstoessen erzwingt ? Das Kramer mit einer Gehirnerschuetterung vom deutschen Teamarzt zurueck ins Spiel gelassen wurde halte ich fuer unverantwortlich, wenn man sich die Spaetfolgen anschaut.
Auf der anderen Seite kann das ja nicht die Aufgabe des Schiedrichters sein. Waere es nicht an der Zeit bei Spielen auf diesem Niveau einen „neutralen“ Arzt zur Beurteilung solcher Situation heranzuziehen. Z.B. dass dieser wenn ein Betreuer aufs Feld gelassen wird immer mitkommt und die Behandlung ueberwacht ?
Zu 1) An eine solche Änderung bei der Regelauslegung kann ich mich, ehrlich gesagt, nicht erinnern. Bei der WM wurde jedenfalls nicht gegen diese Spielweise vorgegangen. Dann fängt man natürlich nicht ausgerechnet im Finale damit an, schon gar nicht, wenn der Torwart zuerst klar den Ball spielt (und dieses Spielen des Balles auch kein Nebenprodukt eines Fouls ist). Rizzoli hat außerdem eine relativ lange Leine gewährt, auch deshalb passte es, den Zweikampf nicht gegen Neuer zu pfeifen. Ein Strafstoß muss schon hundertprozentig sein, zumal in einem WM-Finale, und das war er hier einfach nicht. Einen Freistoß (statt eines Einwurfs) für Neuer hätte es allerdings auch nicht zu geben brauchen. Ausweislich seiner Gestik hat Rizzoli ein Unterlaufen gepfiffen. War vermutlich eher ein taktischer Pfiff, mit dem signalisiert werden sollte: Ich habe nicht nur kein Foul von Neuer gesehen, sondern sogar eines an ihm, Diskussion beendet.
Zu 2) Aus Schiedsrichtersicht besteht hier eigentlich kein Änderungsbedarf. Wenn das medizinische Personal eines Klubs der Ansicht ist, dass ein Spieler weiterspielen kann, ist das Thema für den Schiedsrichter an dieser Stelle beendet. Er ist ja kein Arzt und kann es deshalb nicht besser einschätzen. Sollte die FIFA aber der Ansicht sein, dass eine Änderung wie von dir vorgeschlagen sinnvoll und erforderlich ist, dann wäre dagegen gewiss nichts einzuwenden. Nur wäre das eben nichts, was die Referees betrifft.
Hallo, hier mal ein paar Fragen, die ich mir in den letzten Tagen gestellt habe. Hoffentlich habe ich bei meiner täglichen Dosis „Collinas Erben“ (unter anderem während einer langen Autofahrt nach Köln) nicht überhört, dass diese Fragen schonmal behandelt wurden ;-)
1) Stoppen auch die Assistenten die Zeit? Theoretisch kann es ja passieren, dass die Uhr des Schiedsrichters aus Versehen gestoppt wird oder aufgrund eines Defekts nicht mehr funktioniert… können/müssen ihn dann die Assistenten (sofern welche dabei sind) auf das Ende der regulären Spielzeit/Nachspielzeit hinweisen?
2) Da ihr euch ja nebenbei auch als Mode-Podcast betätigt: Es heißt immer wieder, dass der Schiri „unauffällig“ gekleidet sein sollte (zumindest war es früher so).. ich wäre da für einen grünen Tarnanzug inkl. grüne Schuhe :-)
3) Im Halbfinale ist Manuel Neuer im 16er kurz vor einem Brasilianer an den Ball gekommen. Der Brasilianer stürmt weiter auf ihn zu, Neuer sucht einen stabilen Stand, beugt sich leicht vor und dreht die Schulter ein, so dass er wie ein „Prellbock“ dasteht. Der Brasilianer rennt in ihn rein, prallt ab und fällt. Hat sich hier jemand falsch verhalten? Hätte Neuer ausweichen müssen? Hätte er aufrecht stehen und sich umrennen lassen sollen? Ist das Drehen der Schulter in Ordnung? Oder hätte der Brasilianer nicht einfach ausweichen müssen?
4) Andere Szene aus dem HF (1. Hälfte, leider weiß ich die exakte Spielminute nicht mehr) Hulk ist am Ball, Höwedes(?) grätscht, trifft nicht den Ball und Hulk hebt im Laufen die Füße nicht sonderlich weit, so dass er an den Beinen des Deutschen hängen bleibt. Entscheidung: „kein Foul“. Hätte man hier nicht sagen können: Ball nicht gespielt, Höwedes „bietet etwas an “ und Hulk nimmt es an?
Viele Grüße
Hendrik
Vielen Dank an Felix, da habe ich nichts hinzuzufügen. Zu den anderen Fragen:
3.) Hier hat sich eigentlich niemand wirklich falsch verhalten. Der brasilianische Spieler hatte durchaus eine Chance auf den Ball, aber Neuer war eben schneller. Der Brasilianer konnte dann nicht mehr bremsen, und von Neuer konnte man nicht erwarten, dass er dann einfach ausweicht (dass er die Schulter ein bisschen eindrehte, um nicht an einer verletzungsanfälligen Stelle getroffen zu werden, war völlig okay). So kam es schließlich zur Kollision. Da hätte man theoretisch ein Foul des Angreifers pfeifen können, weil Neuer bereits den Ball unter Kontrolle hatte. Aber da Neuer völlig unbeeindruckt war, stehen blieb, den Ball weiter in den Händen hielt und schnell weiterspielen wollte, war es gut und richtig vom Schiedsrichter, gar nicht einzugreifen.
4.) An die Szene kann ich mich leider nicht erinnern. Klingt aber regeltechnisch nach einem Beinstellen von Höwedes.
Danke für die Antworten.
Zu 4: das müsste die Szene sein, ab 0:25 ausverschiedenen Blickwinkeln: http://www.youtube.com/watch?v=DE4LYksdMEA
Ist leider nicht exakt zu erkennen, aber ich meine, dass da durchaus ein Kontakt stattgefunden hat.
Grüße
Hendrik
Hallo Hendrik ,
Also eine Frage kann ich dir auf Jeden Fall mal beantworten , da ich selber oft als Assistent amtiere … Bis jetzt mit meinen 15 Jahren bis in die Oberliga … : Als Assistent stoppt man natürlich die Zeit mit , dies hat aber mehrere Gründe ; 1. ( Wie schon gesagt ) Falls die Uhr des SR kaputt geht ,
2. Für die Auswechslungen , die in der Regel durch SRA1 durchgeführt werden , 3. Einfach zur Orientierung , wie lange geht es noch , wie wird die Taktik aufgrund dessen ausgelegt etc … Und für die nicht ganz so Sportlichen , natürlich noch wie lange die noch aushalten müssen ;-)
Dann gibt es immer wieder Spieler die einen Fragen wie lange es noch geht …
Und eher selten ( am WE aber passiert ) die Dauer zwischen Blitz und Donner zu messen , für einen möglichen Abbruch
Gruß Felix
( für den Rest ist Alex der bessere Ansprechpartner … ;-) )
Liebe Erben,
ich möchte zunächst danken für sehr aufschlussreiche und auch streitbare Erläuterungen.
In meinem Fall habe ich einige Fragen konkret zur WM und zu einem allgemeinen Phänomen.
1. Finale – Linie von Rizzoli
Ich fand, dass Rizzoli schlecht gepfiffen hat und auch pro Argentinien. Die Beispiele sind zahlreich und ich führe sie daher hier jetzt nicht auf. Aber mir passt das Bild nicht, das durch Eure spannenden Diskussionen bei mir entsteht. Einerseits sagt Ihr, dass Schiedsrichter „durchgreifen“, „Linie finden und zeigen“, „Autorität darstellen“ sollen, andererseits lese ich hier in den Kommentaren, dass einige Dinge einfach „nicht sein Thema sind und er sich da nicht einmischen soll/darf/muss“. Ich spiele eine amerikanisch-indianische Sportart LACROSSE, die mit ebenfalls vier Schiedsrichtern ausgeübt wird. Dort gibt es sehr viel mehr Respekt vor und vor allen Dingen Einmischung durch den Schiedsrichter. Schutz des Spieler ist das oberste Gebot! Daher gibt es dort gemessen an der körperlichen Intensität auch vergleichsweise wenig Verletzungen. Ein Schiedsrichter muss sich einmischen, dafür ist er da.
2. Linie des Schiedsrichters
Des weiteren halte ich es für ganz schwach, dass Schiedsrichter eine bestimmte Linie pfeifen (müssen/sollen), „weil es ein WM-Finale“ ist. Wo ist denn da die Logik? Ein Fußballspiel ist ein Fußballspiel ist ein Fußballspiel. Warum sollen großzügigere oder strengere oder weniger strenge Regelauslegungen gelten, wenn sich die „Wichtigkeit“ eines Spiels verändert?
Mehr Action bitte, weniger Karten, mehr Tore oder wie?
3. Anfassen des Schiedsrichters / Diskussionen mit dem Schiedsrichter
Wie kann es sein, dass Fußballspieler permanent mit dem Schiri diskutieren und ihn dabei auch noch anfassen? Ist das nicht per Regel verboten?
Ich bin überzeugt, dass ein konsequentes Umsetzen von „Diskutiere mit mir“ = Gelbe Karte und „Fass mich an“ = Rote Karte dem ganzen Laientheater schnell ein Ende bereiten würde. Wollen wir doch mal sehen, ob die Spieler einer Mannschaft sich gerne durch Emotionen aufgewühlt um 1,2,3 oder mehr Spieler reduzieren weil sie diskutieren oder grabschen wollen.
Gleiches gilt dann auch für Linienrichter, die Messi ins Ohr flüstern, ihn tätscheln und Abseits nicht pfeifen können. Auch die können sofort vom Platz gehen. Und das meine ich ernst.
Da sollte der Fußballolymp sein und dazu gehört auch das Schiedsrichtern. Das war es aber mitnichten, eher ein großes Debakel.
4. Letzter allgemeiner Punkt:
Wieso wird bei der FIFA ständig der Verantwortungsball hin- und hergeschoben? Ich spiele auf die Rückmeldung der Pressesprecherin an, die auf Nachfrage zur angeblichen Schiri-Anweisung sagt: „Das ist nicht unser Thema, dazu müssen Sie den Chef der entsprechenden Abteilung befragen“. Blatter war früher permanent im Fernsehen bei solchen Themen, nun aber war nicht, gar nichts vom ihm zu sehen. Zufall? Ist es nicht Aufgabe des CEO solch eines Vereins zu diesen angeblichen Anweisungen Stellung zu beziehen? Ich erinnere mich an die WM 1998, da wurde offiziell direkt ausgegeben: Von hinten einsteigen = ROT, von der Seite = GELB, 1 Tor = 1 Minute Nachspielzeit, 1 Foul = mind. 30 Sekunden je nach Härte aber auch mehr.
Diese „Anweisung“ gilt ja heute auch nicht mehr. Wer legt denn die Nachspielzeit auf Basis wovon fest?
Besten Dank an Klaas und Alex für die Antworten, auf die ich mich schon freue.
Zu 1.) Ich bleibe dabei: Rizzolis Linie bei der Beurteilung der Zweikämpfe war grundsätzlich in Ordnung, sein Kartenmanagement war es weniger, vor allem in der Verlängerung. In der neuen Podcastfolge, die heute Abend oder morgen online gehen wird, werden wir darüber in der gebotenen Ausführlichkeit sprechen. Dass der Schutz der Gesundheit der Spieler eine der wichtigsten Aufgaben des Schiedsrichters ist, steht außer Frage, und selbstverständlich muss ein Referee nicht zuletzt daran gemessen werden, ob er diesen Schutz gewährleistet oder nicht. Fußballtypische Härten sind dabei von einer unerlaubten Spielweise zu unterscheiden. Mit dem Begriff »Einmischung« kann ich nicht so viel anfangen; ein Schiedsrichter soll das Spiel vorausschauend leiten (also nicht immer nur reagieren) und dabei von seinen Spielräumen Gebrauch machen, wo es sinnvoll ist.
Zu 2.) »Mehr Action bitte, weniger Karten, mehr Tore oder wie« – im Kern war das die Leitlinie der FIFA für die WM, ja. Eine Weltmeisterschaft ist ein öffentliches Spektakel, und die Schiedsrichter sollten dem nicht unnötig im Wege stehen. Entsprechend fielen die Direktiven aus, und das hat viele Probleme mit sich gebracht; wir haben hier ja oft und ausführlich darüber gesprochen. Dass man es sich in einem WM-Finale besonders gründlich überlegt, ob der Zweikampf im Strafraum wirklich ein Foul und also ein Elfmeter war und ob dieser oder jener Körpereinsatz tatsächlich unbedingt eine Gelbe oder Rote Karte nach sich ziehen muss, finde ich gleichwohl nachvollziehbar. Es steht einfach ganz erheblich mehr auf dem Spiel als in einem Meisterschaftsspiel der Kreisliga C. Der Ansatz »Ein Fußballspiel ist ein Fußballspiel« hört sich in der Theorie logisch und nachvollziehbar an, wird der Realität aber nur bedingt gerecht.
Zu 3.) Ich bin überhaupt kein Freund allzu kleinlicher Regelauslegungen und spreche da in erster Linie aus der Praxis. Die Annahme, dieses oder jenes werde schon aufhören, wenn man nur konsequent und hart genug dagegen vorgehe, ist nachweislich ein Irrglaube. Schiedsrichter, die jeden kleinen Protest und jede kleine Körperberührung sofort mit Karten ahnden, gehen unter und produzieren Chaos, erreichen also das genaue Gegenteil dessen, was sie beabsichtigten. Es gibt für eine solche Regelauslegung auch keine Akzeptanz. Ich habe als Schiedsrichter-Beobachter im Amateurfußball genügend Kollegen gesehen, die bei jeder Kleinigkeit die Karte ausgepackt haben. Das Ergebnis war immer das gleiche: Sie haben die Proteste erst recht angeheizt und sich langsam, aber stetig den Zorn noch der Wohlmeinendsten zugezogen. Das Geheimnis besteht letztlich in der Nutzung der Spielräume, der Schaffung von Akzeptanz und dem sinnvollen, gezielten Einsatz disziplinarischer Mittel. Ein guter Schiedsrichter regelt die Dinge vor allem kraft seiner Persönlichkeit. Ein inflationärer Einsatz der Karten steht dem entgegen.
Zu 4.) Zu FIFA-internen Abläufen kann ich wenig sagen; dass ich mir mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit gewünscht hätte, habe ich hier ja geschrieben. Was die Anweisungen betrifft: Es gab auch diesmal welche, nur sahen die eben anders aus als bei früheren Turnieren. Die FIFA-Direktiven hinsichtlich der Gelben Karten und des Positionsspiels der Schiedsrichter haben wir hier ja eingehend besprochen (und kritisiert, wie etwa in diesem Textbeitrag). FIFA-Schiri-Chef Busacca ist nun stolz darauf, dass es so wenige Gelbe und Roten Karten gegeben hat; leider unterschlägt er, dass diese geringe Zahl mit teilweise rüden Spielen erkauft wurde. Was die Nachspielzeit betrifft: Die war bei diesem Turnier im Durchschnitt umfangreicher als bei früheren Weltmeisterschaften; es gab sogar Partien, die um fünf oder sechs Minuten verlängert wurden.