Was passiert, wenn man jede Woche aus professioneller Perspektive Fußballspiele der Bundesliga, im DFB-Pokal und internationalen Wettbewerben besucht? Wenn man als Reporter bei Länderspielen den Trubel rund um junge Männer beobachtet und die Überhöhungen der Kicker und des Drumherums liest?
Frank Lußem, Redaktionsleiter im Westen für das kicker-Sportmagazin, reflektiert seine Arbeit, die Entwicklungen im Fußball und Drumherum und findet sein Fußballerlebnis des Jahres abseits der großen Arenen:
Die Editionen, die der kicker seit ein paar Jahren auf den Markt bringt, sind so etwas wie mein Lieblingskind. Eintauchen in die Geschichte, viele Stunden und Tage recherchieren, wer einmal die Spiele der Deutschen Fußballmeister von 1903 bis 1914 verfolgen durfte, der weiß, was ich meine. Wir haben die großen Duelle der Fußballwelt beschrieben, die Historie der Weltklubs aus fünf Kontinenten nachgezeichnet, der Liga natürlich angemessen zum 50. Geburtstag gratuliert und uns zuletzt dem Pokal gewidmet.
„Mythos Pokal“ lautete der Titel dieses Glanzstückchens und ich durfte über ein Spiel schreiben, dass ich als 11jähriger FC-Fan selbst live verfolgt hatte und das mich nicht mehr los lassen sollte. 0:3 hatte der FC das Hinspiel gegen Bayern München verloren, 5:1 gewann er das Rückspiel. Als „Schlacht von Köln“ ging diese Partie in die Geschichte ein, wer heute diesen Begriff googelt, stößt schnell auf Franz Krauthausen. Der war Ex-Kölner, spielte damals für die Bayern und verlor auf dem Weg zur Kabine ein paar Zähne. „Das war die Faust Gottes“, erklärte viel zu früh verstorbene Heinz Flohe Jahre später den Vorfall, der nur ein Blatt in der Krankenakte dieses Abends füllte: Ein Schienbeinbruch, ein Rippenbruch und jede Menge blauer Flecken machten den Ordner richtig dick.
Wir saßen in der Südkurve der Radrennbahn. Richtig – wir saßen! Sitzen war damals nicht „für’n Arsch“. Wie eine Terrasse ging es hinter dem Tor hoch, wir hockten auf Holzbänken und rissen uns, wenn wir Pech hatten, im Sommer dicke Splitter in den Arsch. Trockenes Holz, kurze Hosen, schnelles Aufspringen – das vertrug sich nicht.
Schön war es doch in dieser legendären Arena, die bis 1975 als Ausweichquartier für den Umbau des Müngersdorfer Stadions diente. Eng, stimmungsvoll, bedrohlich für den Gegner. Schön einfach und einfach schön!
Diesen Gedanken hing ich also im Sommer 2013 nach, über 40 Jahre nach dem Ereignis. Die Diskussion, die ich mit mir selbst führte, brachte den Mittfünfziger schnell ins Hintertreffen gegenüber dem Teenager. Muss ein Stadion eine Multifunktionsarena sein? Muss jedes Spiel ausverkauft sein? Muss jeder Blödmann denken, das Spiel werde nur seinetwegen angepfiffen? Muss eine jede Lebensgefährtin eines jeden Spielers gefilmt werden? Muss sich der Parkplatzwächter aufführen wie ein Vier-Sterne-General? Oder der Ordner wie ein Cop? Muss alles und jeder immer ernst genommen werden? Muss das alles sein, was heute Norm ist?
Nein, muss es nicht. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Das weiß ich auch. Aber ich beurteile den Fußball nicht mehr danach, ob die Riesenarena zu 100 Prozent ausgelastet ist. Soll kommen, wer Spaß hat. Der Rest bleibt eben weg. Mir ist es wurscht, ob der Schnitt jedes Jahr steigt. Ich kann auch mit Fankultur nicht wirklich viel anfangen. Wirkt mir alles ein bisschen importiert. Wir sind mit der Bahn ins Stadion, haben gejubelt oder getrauert, ab und zu mussten wir laufen, wenn die Schalker hinter uns her waren. Oder umgekehrt. Aber wir waren nur Fußball-Fans. Nicht so wichtig, schon gar nicht wichtigtuerisch.
Fußball ist bis heute mein Lebensmittelpunkt und ich bin mit Leib und Seele bei meinem Job. Aber wenn ich wählen kann zwischen dem Spitzenspiel in Dortmund und dem C-Jugendspiel in Hürth-Efferen – ich fahre dann lieber nach Efferen. Nicht nur, weil mein Sohn dort kickt. Sondern vor allen Dingen deshalb, weil sich keiner wichtig nimmt.
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