Fußball ist ein wunderbares Spiel. Jede Woche liefert es Anlass zu Emotionen. Oft gibt der Sport Grund zur Wut, aber all der Ärger ist verflogen, wenn man Zeuge eines besonderen Moments wird. Wenn sich in einem Augenblick Sehnsüchte erfüllen oder man völlig überrascht wird von der Schönheit des Ballsports. Oder vom Drumherum.
Um so schwieriger ist es, wenn man sich dann entscheiden muss, welches das schönste Fußballerlebnis eines kompletten Jahres war.
24 Autoren – Blogger, Journalisten, Twitterati – haben sich dieser Aufgabe gestellt. Haben sich den Kopf zerbrochen und ihr Fußballerlebnis des Jahres 2012 ausgewählt und in Worte und Bilder gefasst. Jeden Tag öffnet der „Fokus Fussball Adventskalender“ das Tor zu einer dieser Erinnerungen, die das Spiel so lobenswert machen.
Zum Auftakt nehmen uns Sebastian (Text) und Stefanie (Bilder) Fiebrig (***Textilvergehen***) mit. Zu einem Ausflug der eigentlich ganz anders geplant war.
„Ist einer von euch Schüler, Student oder arbeitslos? Nein? Dann macht dit jenau acht Euros“, sagt der Kartenverkäufer auf dem Paul-Zobel-Sportplatz mit der typisch berlinerischen Mischung aus Motzigkeit und Freundlichkeit. Das Kassenhäuschen ist blau angemalt. Blau wie die Farbe des Heimvereins VfB Einheit zu Pankow. An der Seite hängt eine Plakette. „Paul Zobel, Antifaschist, am 22.3.1945 in Dachau verstorben“, steht darauf.
„Welche Spielklasse ist das eigentlich?“, versuche ich möglichst höflich meine absolute Unwissenheit zu verkleiden. „Bezirksliga“, lautet die knappe Antwort. Ich schaue hinüber zur Göttergattin. Heute Morgen habe ich ihr versprochen, dass wir an diesem Sonntag etwas Schönes machen. Gemeinsam. Nur wir zwei. „Lass uns durch die Schönholzer Heide spazieren.“ November. Buntes raschelndes Laub. Dazu kalte klare Luft. Romantik pur.
Direkt am Eingang der Schönholzer Heide liegt der Sportplatz. „Ich möchte nur mal schauen, ob heute ein Spiel ist“, sage ich. Das war Viertel vor Zwei. Jetzt haben wir zwei Karten, dazu Glühwein und Bier in der Hand. Die Mannschaften von Einheit Pankow und Berolina Mitte laufen zu Hells Bells von AC/DC ein. Keiner der rund 50 Zuschauer flippt aus. Einsam am Rand steht der Stadionsprecher am Mischpult.
Drei ältere Herren lehnen Höhe Mittellinie am Geländer. Es ist genau die Sorte Mann, die ich bei solchen Spielen erwarten würde: Laut und meinungsstark. Als ein Spieler nach einem Tackling laut aufschreit, motzt einer: „Was heißt hier Aua?“ Der Fußballer beherrscht sich. Nach einer jämmerlich versiebten Torchance brüllen die drei Senioren-Ultras zum unglücklichen Stürmer: „Den hätten sogar wir alten Männer reingemacht.“ Da reicht es der Linienrichterin. Sie zischt die alten Herren an: „Haltet die Klappe!“
Die Göttergattin hat sich von mir entfernt. Sie fotografiert. Den Vorstand, der auf einer Anhöhe biertrinkend auf Plastikstühlen sitzt. Die Linienrichterin, die zeitgleich auch die medizinische Betreuerin von Berolina ist. Die Kinder und Eltern der Spieler auf den Bänken rund um den Platz. Die ausgewechselten Spieler gesellen sich dazu. Ungefragt analysiert einer die eigene Leistung: „Eine 2 würde ich mir vielleicht nicht geben. Aber eine 3 oder 4 war das allemal. Ich habe meine Seite dichtgemacht und das Tor vorbereitet.“ Seine Frau schaut ihn nicht an, sondern sagt zu dem Baby auf ihrem Schoß: „Papa lobt sich mal wieder selbst.“
Nach der Partie, die Einheit mit 0:1 verloren hat, stehen alle einträchtig vor der Mannschaftskabine. Die Gegner diskutieren das Spiel. Gemeinsam mit dem Schiedsrichter. Fast alle haben eine Zigarette in der Hand. Die ohne Kippe tragen ihre kleinen Kinder. Der Himmel färbt sich rot. Im Minutentakt fliegen donnernd die Flugzeuge über unsere Köpfe auf die Landebahn von Tegel zu. Die Göttergattin schaut mich an: „Ein wirklich schöner Tag.“ Die Schönholzer Heide haben wir nicht betreten.
Ja genau so stelle ich es mir auch vor Laut Meinungsstark und eventuell dann auch noch besoffen vom schönen Bier
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