Journalisten, die vor Kliniken oder an Flughäfen übernachten. Medien, die sich mit Livetickern die Gerüchteküche befeuern. Fans, deren F5-Taste unter dem Aktualisierungszwang zusammenbrechen. Alle drehen am großen Rad. Nur einer bleibt ganz ruhig.
Stephan Uersfeld schickt sein Alter Ego Dembowski auf eine Lamafarm und zündelt:
Immer der Ablauf. Aufstehen, Computer an, und schauen, was da in der Welt des Fußballs so passiert. An manchen Tagen erschlägt es mich. Dann wechselt Götze zu den Bayern. Aufregung. Noch ein Kaffee. Wechselt er wirklich. Stimmt das jetzt. Natürlich. Weil schon die Pressemitteilungen ins Haus flattern. Meist aber stimmen die Gerüchte nicht. Dann wird Veh der neue Trainer auf Schalke und irgendwo anders platzt der Transfer an den letzten Details, manchmal war alles nur erstunken und erlogen. Manchmal eine Blendgranate. Und um kurz vor 12 auf Twitter verkünden Fjörtoft und Honigstein unisono die nächste Transferbombe. Dzeko wurde am Flughafen gesehen. Lewandowski wechselt. Alles ist klar! Da Dzeko schon mit dem BVB zu Abend gegessen hat, damals im November.
Der Transferwahnsinn im Frühsommer ist die schönste Zeit des Jahres. Vor ein paar Jahren hätte ich das vielleicht noch anders gesehen, aber der Irrsinn schreitet voran und jeder hat eine Meinung, und jeder möchte einmal Sky Italia sein, einen Scoop landen, wie man so sagt. Das ist das größte Ziel! In der Transferbombenzeit. Glückseligkeit. Keine Traurigkeit.
Natürlich: Genug Leute beschweren sich. Doch sie haben das Spiel nicht verstanden. Seiten müssen gefüllt werden. Und das Internet hat unendlich viele Seiten, ganz im Gegensatz zu Lesern. Nur wer am lautesten schreit, hat eine Chance wahrgenommen zu werden. Wer das Gütesiegel „aus gewöhnlich gut informierten Quellen“ trägt, darf vieles behaupten. Und wer einmal im Fernsehen war, dessen Quellen sind nicht nur „gewöhnlich gut informiert“, sondern dazu auch noch „vereinsnah“, denn sonst ist man beim Fernsehen falsch.
Als es Sommer wurde und in Dortmund alles, aber auch wirklich alles zusammenbrach (der totale Absturz verzögerte sich dann noch bis zum November), es war immerhin Ende Juni und niemand wollte beim Champions League-Finalisten unterschreiben, wollte ich auch einmal Teil der Aufregung sein. Ich hatte Zeit. Urlaub auf der Lamafarm, die wirklich existiert. Die kein Hirngespinst, sondern nur ein Lebenstraum ist, eine Flucht, wenn alles zu viel wird, wenn zu viele Menschen zu laut schreien.
Es war ein Versuch. Der ging so. Ein altes Gerücht. Ein Transfer mit Phantasie. Ein paar aufgewärmte Zitate und ein versoffener Ermittler. Dazu ein wenig Zeit. Und die Morgensonne über der Lamafarm.
Mit einem Kaffee auf die Veranda, Pläne schmieden für den Tag. Rübermachen nach Polen. In die unendliche Weite hinter dem Oderbruch. Ich hatte eine Tankstelle ausgemacht. Am Ende eines Feldweges. Ausschließlich für Traktoren. Das war das Ziel. Dort sollte es hingehen und später ein Bier am Hafen, den Fischern zuschauen, vielleicht noch ein paar Einkäufe im Nautykwariat.
Auf der Farm lagen die Lamas in ihren Schlammkuhlen und erholten sich von den aufregenden Führungen und Touristenbesuchen. Ein perfekter Tag.
Es war an dem alten Ermittler, das Gerücht zu streuen. Ein kurzer Text nur. Dembowski hatte sich gerade in Warschau die Akte Lewandowski gesichert, und einen unliebsamen Wegbegleiter erledigt. Reiser, der alte Boulevardschmierfink, war tot. Ein neuer Reiser musste her: Dembowski! Der Ermittler, der zu Transferbombenzeiten auch DerSamstag!-Herausgeber ist.
Ich verfasste den Text. Dembowski blickte durch. Lotste also Özil nach Dortmund, Lewandowski nach Madrid und Benteke dafür wiederum zum BVB. Es ergab alles wenig Sinn. Aber war immerhin vage genug, um vage zu bleiben. „Nach Informationen“ und „wie Quellen verraten“, diese waren zwar geheim und verschwunden geglaubt und nur Teil der Dembowski-Erzählung. Aber wen störte das schon?
Ich programmierte die Veröffentlichung auf 16 Uhr, streichelte die Lamas, die ich liebgewonnen hatte und die, anders als Koi, der sprechenden Karpfen, wirklich existieren. Dann ging es nach Polen. Ein paar Leute wußten Bescheid und verkündeten die Transferbombenzeit auf Twitter. Das war genug.
Als ich spät in der Nacht von der Tankstelle am Ende des Feldweges zurückkehrte, eine schöne Bierschwere in mir trug und die Lamas mich spuckend begrüßten, blickte ich kurz auf die Zugriffe auf meinen Dembowski-Blog. Diese waren fünfstellig. An anderen Tagen meist zweistellig. Der Plan hatte funktioniert.
Bald ist Weihnachten, bald ist Winterpause. Dann kommt sie wieder die heilige Transferbombenzeit. Es ist die schönste Zeit des Jahres. Wenn man sie nicht zu ernst nimmt. Denn Fußball ist und bleibt beste! Auch in 2013.
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