Fußballreporter. Durch die Welt reisen und den besten Spielern beim Kicken auf Höhe der Mittelllinie zusehen. Für viele ein Traum. Doch wie ist es, wenn man ihn leben kann?
Kann man den Fußball, das Spiel noch genießen? Oder törnt es ab, wenn man die immer gleichen Statements hören muss für die man sich die Beine in der Mixed Zone in den Bauch gestanden hat? Wie ist es, wenn man sein Arbeitsleben nach Spielplänen ausrichten muss?
Peter Ahrens, Sportredakteur bei Spiegel Online, blickt für den „Fokus Fussball Adventskalender“ auf 2012 zurück und erzählt von seinem Sportjahr und von seinem Fußballerlebnis des Jahres.
Dieses Fußballjahr war prall, es war wie ein Baum voll mit reifen Früchten. Drogba, Ibra, Balotelli, der ausgegrabene Elfmeterpunkt – der Fußball in seiner Erhabenheit und in seiner Lächerlichkeit, dramatische Momente im Dutzend. Und als Sportreporter hat man das Vorrecht, diesen Momenten mit allen Sinnen beiwohnen zu dürfen. Ohne den filternden TV-Zwischenwirt, ohne KMH, Scholl und die anderen. Das ist ein gutes Gefühl und ein großes Privileg.
Die Hitze im ostukrainischen Brutofen von Charkow selbst spüren, auf dem Flughafen von Kiew live stundenlang festsitzen, der Nationalmannschaft im südfranzösischen Dauerregen beim Hütchen aufstellen zuschauen, die tägliche DFB-Pressekonferenz im Weißen Zelt von Danzig, dem Murmeltier dieser Europameisterschaft – gibt es Schöneres? Ja.
Zum Beispiel Wembley, zum Beispiel die Olympischen Spiele. Das Endspiel der Sommerspiele von London war mein persönliches Fußballerlebnis des Jahres 2012.
Brasilien gegen Mexiko: eine Partie wie aus dem Tuschkasten des öffentlich-rechtlichen Sportfernsehens. Das Publikum – ein einziger großer Kostümball. Die Mexikaner mit ihren Sombreros sahen aus, wie man sich Mexikaner mit ihren Sombreros vorzustellen hat. Die Mariachi-Geiger quälten ihre Instrumente wie dereinst ARD und ZDF ihre Zuseher, die bei der Mexiko-WM 1986 jede Gaucho-Tümelei dankbar mitnahmen.
Die brasilianischen Zuschauerinnen waren genauso ein- und ausladend, wie sie sich ein Klischeebäcker nicht hätte besser formen können. Man musste sich schon wie der sagenhafte Odysseus, der sich zum Schutz vor dem Sirenengesang an den Mastbaum fesselte, Augen und Ohren und zusätzlich noch Mund und Hirn zustopfen, um nicht die Worthülsen-Klassiker zu benutzen wie „Zuckerhutatmosphäre“ oder „Copacabana an der Themse“.
Mit anderen Worten: Es war mitreißend. Es war ein Fest.
Es war ein Nachmittag, an dem die Zwanzigers, die Hoeneß’, die Wontorras und die Calmunds so weit weg wie irgend möglich waren. Es war nur der Fußball da.
Und gewonnen haben auch noch die Richtigen.
Es war überhaupt kein überragendes Fußballspiel, ein Finale letztlich ohne großen sportlichen Erinnerungswert. Die Brasilianer stellten sich in der Defensive so ungeschickt an, wie nur sie es verstehen. Die Mexikaner brachten Durchschnitt auf den Platz. Für den Gewinn der Goldmedaille war es an diesem Tag ausreichend..
Und dennoch war ich nach diesem Nachmittag im Londoner Nordwesten beseelt. Oft habe ich dieses Gefühl nach einem Fußballspiel nicht mehr.
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