#Link11: Die Revolution ist verschoben

Seit einem Handball-AfD-Island-Arierer-MigrantenmangelimHandball-Text sucht Link11-Autor Dembowski jeden Morgen nach einem neuen Aufreger-Thema, dass wir durch das Netzdorf treiben können. Wir helfen ihm heute. (Weitere sachdienliche Hinweise nehmen wir jeden Tag unter fokusfussball@googlemail.com entgegen). Fangen wir mit der gescheiterten Revolution an.

blogundpresseschau

1. Vielleicht ja hier aufregen? Bosman-Urteil, das klingt heute so, als hätte der Mann die Richter allein schon wegen des Namens auf seiner Seite gehabt. That’s boss! Schau, wie du damit klarkommst. So stell ich mir das damals ein bisschen vor. Und nun meine Frage: Wie hätten wir in 30 Jahren vom Heinz-Müller-Urteil gesprochen? Eben.

Auch Heinz Müller hatte eine Revolution geplant, gestern wurde sie abgesagt. Er wollte durchsetzen, dass Fußballer nach zwei befristeten Verträgen unbefristet angestellt werden. Für Müllers Mainz und die Liga war klar: Spieler wie Müller bis zu Rente durchfüttern? Auf keinsten! Das hat das Landesarbeitsgericht gestern ganz ähnlich, sprachlich etwas geschliffener, festgestellt. Wer es genauer haben möchte: Oli Fritsch (ZEIT ONLINE) hat nach dem Urteil einen Mann vom Fach (Jurist) befragt, der ihm erklärte: „Fußballspielen ist kein Beruf wie jeder andere.“ Gut, das wussten wir Hartplatz-Revoluzzer auch vorher. Revolution, leg dich wieder hin.

2. Heinz Müller reicht also nur einen Tag lang zum ‚uffregen. Schauen wir mal weiter: Ah, hier, Franz Beckenbauer, der geht eigentlich immer. 2014 durfte der Arme nicht nach Brasilien zur WM fliegen. Die Fifa wollte ein paar Dinge von ihm wissen. Doch wie einem das Leben manchmal so spielt, erinnerte er sich einfach nicht daran, wieso seine Reisen nach Russland und Katar und der Deal mit Gazprom, der ihn finanziell gerade so über Wasser hielt, etwas mit der WM-Vergabe in diese Länder zu tun haben könnte. Dafür hat ihn die Fifa jetzt mit 7000 Schweizer Franken verwarnt. Oh je, armer Franz, der Gazprom-Stundenlohn von heute Morgen ist damit futsch.

3. Kommen wir zu einem weiteren, sicheren Aufreger. Die Fifa wählt nächste Woche einen neuen Präsidenten. Gianni Infantino (Schweiz) und Frauenfreund Scheich Salman (Bahrain) gelten als die Favoriten. Aus Deutschland reist Reinhard Rauball als Chef der deutschen Delegation nach Zürich. Eigentlich könnte er auch einen Brief schicken, denn Rauball sagt ganz offen: Unser Kreuz bekommt Gianni Infantino. Weil Rauball aber noch mehr zu erledigen hat, fährt er trotzdem hin. Er sagt auch Sätze wie: „Müssen uns für Menschenrechte einsetzen.“ „Wandel durch Annäherung.“ „Politik der kleinen Schritte.“ Willy Brandt, bist du es? Ist das noch Sport oder schon Politik? Ach halt, das geht ja gar nicht zusammen, schreiben die bei Facebook immer. Die FAZ guckt da zum Glück nicht so oft rein und hat mit Rauball ein intensives Gespräch geführt, das die Machtpolitik im Vorfeld einer Präsidentenwahl offenlegt.

4. Reinhard Rauball hat, zumindest mich, etwas beruhigt. Ron Ulrich gelingt das Gegenteil. Er hat sich auf die Suche nach deutschen Fans gemacht, die Opfer von Polizeigewalt im Ausland wurden. Seine gefundenen Geschichten lassen schaudern, wenn Dortmunder Fans aus dunklen Gefängnisgängen in Sevilla erzählen, in denen sie spöttisch nach SS-Himmler und Duschkabinen gefragt wurden. Weil einige Vereine mit ihren Anhängern in diesen Wochen in Europa unterwegs sind ist das eine spannende Lektüre über die dunkleren Seiten von Auswärtsfahrenistschön.

5. Hoffentlich sicher unterwegs sind die Schalker in Lviv (Ukraine). Dort geht es gegen Schachtjor Donezk, einem Klub, der wegen des andauernden Krieges in seiner Heimatstadt nur noch Auswärtsspiele bestreitet. Internationale Spiele finden in Lviv statt, Ligaspiele an wechselnden Orten im Land. Vor nicht allzu langer Zeit blühte der Klub als stärkster Verein in Osteuropa auf, hatte Douglas Costa, Alex Teixeira und einen Milliardär alles zu verdanken. Doch eben jener reiche Mann, Rinat Achmetov, wirkt müde, wie Dennis Trubetskoy aus Lviv berichtet.

6. Torsten Wieland (Königsblog) lehrt in seinem Schalker Königsblog Geschichte und blickt zurück auf das „Todesspiel“ von 1942, einem zum Mythos angewachsenen Duell zwischen deutschen Besatzern und ukrainischen Fabrikarbeitern. Der Beitrag zeigt, warum Fußballblogs die Medienlandschaft bereichern.

7. Um die großen geopolitischen Fragen ging es auch im Spiel Fenerbahce Istanbul gegen Lokomotive Moskau. Das Europa-League-Hochrisiko-Spiel wurde bereits am Dienstag ausgetragen, Fenerbahce gewann 2:0. Seit im November ein russischer Kampfjet über der Türkei abgeschossen wurde, mögen sich die Führungen beider Länder nicht mehr wirklich. Und wie der Fußball so ist, ein Brennglas des Lebens, spielt sich dieser Konflikt auch auf dem Feld ab. Moskaus Dmitrij Tarasow zog nach dem Spiel in der Türkei sein Trikot aus und plötzlich war Wladimir Putin im Stadion. Tarasow trug unter dem Trikot ein Shirt, auf dem neben dem Kopf von Putin prangte: „Der höflichste Präsident“. Rückspiel in Russland ist nächste Woche.

8. Gestern schon verteidigte in der Champions League der AS Rom eigentlich ganz passabel gegen den brutal gut besetzen Kader von Real Madrid, am Ende aber schoben Christiano Ronaldo und Jesé zwei Mal den Ball ins Netz, was zum 2:0-Auswärtssieg genügte. Als es schon 2:0 stand, betrat einer der besten Fußballer aller Zeiten (sagt Pelé) das Feld. Francesco Totti ist eine Legende. So viele Zitate von ihm sind der süßlich-riechende Balsam auf unseren geschundenen Romantiker-Seelen: „Ich bin als Römer und Romanista geboren, und so werde ich auch sterben“ Bei nur wenigen Profis ist dieser Satz auch so gemeint, bei Totti bestehen daran keine Zweifel. Seit 1993 ist er der Roma treu, die 11Freunde haben eine immer noch starke Reportage aus dem Jahr 2014 anlässlich eines seiner vermutlich letzten internationalen Auftritte online gestellt.

9. Gut, der Übergang von Totti auf Wolfsburg wird jetzt schwer. Beide haben gestern gespielt, das ist doch schon mal was. Sonst gibt es wenig, was die beiden eint. Vielleicht ein Wunder im Rückspiel für Tottis Rom und dann ein Duell mit Wolfsburg im Viertelfinale? Wolfsburg jedenfalls hat seinen Teil dazu beigetragen. Mit einem 3:2 in Gent brachte sich der VfL in eine gute, wenn auch nicht perfekte Ausgangslage für das Rückspiel. Allerdings: Wer 3:0 führt, sollte auch in den letzten zehn Minuten des Spiels noch aufpassen. Ham se nich jemacht, so bleiben „gemischte Gefühle“. Der Kicker mit dem Spielbericht.

10. Immer häufiger mussten Innenministerien in den vergangenen Wochen zugeben, geheime Datenbanken über Fußballfans zu führen. Neben der Datei für Gewalttäter Sport gibt es so genannte SKB-Dateien, so etwas wie Tagebücher szenekundiger Beamte, mit unangenehmen Folgen für die darin auftauchenden Fans. Die Hintergründe zu diesen Dateien sammelt, ständig aktualisiert, Journalist Thorsten Poppe in seinem Blog.

Gestern kam raus, das die Hamburger Behörde, die besonders dreist über die Existenz der Datei gelogen hatte, nun 900 Fans aus der Datei gelöscht hat und einen Datenschützer einstellen will. Gut so, Transparenz ist hier nötig. Auch die Berliner Fanhilfe begrüßt das und fordert ihre Behörde auf, die Datei zu löschen. Nur: Beim gewohnten Berliner Behördentempo würde das mit heutiger Zusage erst 2019 geschehen. Abwarten. 

11. Wir bleiben in der Hauptstadt: Wer mal hier ist, sollte sich informieren, ob das Gastspiel seines Vereins nicht zusammenpasst mit einem Besuch bei TeBe Berlin im alten Mommsenstadion. Herrliche Atmosphäre da. Und Heimat einer Legende: Michael Fuß, Co-Spielertrainer von TeBe. Vergangene Saison schoss er TeBe mit 29 Toren in die Oberliga, nun wollte er wieder mehr spielen und wechselte im Winter nach Neukölln, bleibt aber Co bei TeBe. Fuß ist einfach ein wunderbarer Typ: Nun also Training bei beiden Vereinen, Arbeit im Schichtdienst bei Daimler, am Wochenende Punktspiele, er raucht, trinkt Bier, ist fast 40 und hat mit dem Neuköllner Präsidenten gewettet, in der Rückrunde mehr als 20 Tore zu schießen. Die Morgenpost mit einem kleinen Portrait.

Geburtstagskind des Tages
Hier wird jetzt mal ein Geheimnis gelüftet. Normalerweise bereitet uns Julian die Geburtstage vor, wir dumpfen Schreiberlinge müssen die nur Copy&Paste einfügen, zack ist das Ratespiel fertig. Heute morgen: Völlige Überforderung, Schnappatmung, kein Geburtstag vorbereitet, kein Quiz, Julian nich erreichbar, #aufschrei, Shitstorm droht. Verzeiht mir, heute hilft nur Wikipedia: Wir lernen, dass am 18. Februar 1546 Martin Luther starb, 1516 Maria Tudor geboren wird, mein Cousin Lennart Geburtstag hat, genauso wie Oliver Pocher, Roman Neustädter und ein italienischer Fußballer mit Zopf, der 1993 Weltfußballer war. Ratet doch mal, ohne Google. Ich hoffe das reicht, um Hassmails zu vermeiden.

Auflösung von gestern: Willi Koslowksi wurde 79 Jahre alt.

Meist geklickter Link gestern
Wie soll es anders sein: Ein sachlicher Aufreger! Endreas Müller persönliche Suche nach seinem eigenen Gespür für Taktikverständnis à la Spielverlagerung.de. (Spoiler: Er sucht noch.) Er wollte damit eine Debatte auslösen. Ist gelungen. Bei Twitter schrieben sich viele die Finger wund (ist ja sonst nicht so), und der im Artikel erwähnte Spielverlagerungs-Autor RM verfasste eine Replik, die Analyse der Analyse wenn man so will, unter der ebenfalls fleißig debattiert wurde. Bester Kommentar dort: „Dieser Artikel erinnert mich an meine Schulzeit im Physikunterricht, ich war zwar dabei, aber verstanden habe ich wenig. Und das war auch vollkommen okay so.“

Field Reporter

»Ich fühle mich gut, ich fühle mich jung. Deshalb bin ich ganz gewiss kein Pechvogel. Weil ich weiter das tun kann, was ich liebe. Und weil ich weiß, dass ich immer noch besser werden kann.«

Tja, Freunde, am Ende der Aufreger-Link11 noch etwas Schönes, berührendes: Holger Badstuber redet mit der FAZ so als hätte er die spanische Weihnachtslotterie El Gordo (dotiert mit 640 Millionen Euro) alleine gewonnen. Ohne Los. Gestern. Im Schlaf. Hat er aber nicht. Er hat sich wieder schwer verletzt, fällt drei Monate aus und geht damit beeindruckend pragmatisch um.

Mixed Zone
Hamburg: Uwe Seeler macht sich Sorgen.  + + + Schriftsteller Javier Marias über seine Liebe zu Real Madrid (11FREUNDE) + + + Pressemitteilung von „Kein Zwanni“ zu den Reaktionen auf den Tennisball-Protest in Stuttgart  (Kein Zwanni) + + +

3 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Welch Freude den Artikel über Micha Fuß in der Link 11 zu finden.
    Kleine Ergänzung zum Artikel: Micha stellte sich beim ersten Spiel seit Amtsantritt gleich mal in die Anfangself, köpfte fix das 1:0 und wechselte sich noch vor Halbzeit aus. Von der Seitenlinie aus dirigierte er seine Mannschaft dann zum 1:0-Sieg.

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