#Link11: Homo-Politicus

Legen Menschen ihre Ressentiments ab, weil ein Fußballverein medienwirksam Millionen für Flüchtlinge spendet? Müssen Veränderungen überhaupt in der Bevölkerung wachsen oder reicht es, wenn der Gesetzgeber sie diktiert? Befindet sich der Ausruf #RefugeesWelcome derzeit in einer Art Ice Bucket Challenge Phase seiner Existenz? Einige meiner Twitter-Follower scheinen das so zu sehen und die Frage kommt auf, ob viele der derzeitigen Bemühungen innerhalb wie außerhalb des Fußballs nicht nur deshalb geschehen, weil Flüchtlingshilfe grade eine Art „Bewegung“ ist, der man sich recht gefahrlos anschließen kann.
Ich sehe das (auch als jemand, der mit dem Schaffen von „Öffentlichkeiten“ beruflich zu tun hat) ja ganz anders: Alles, was auch nur einem hilfesuchenden Menschen auch nur ein bisschen hilft, ist ein Gewinn. Und wenn der Eine oder Andere beim Spenden oder einer Facebook-Kampagne auch den eigenen Ruf im Blick hat – sei’s drum! Eine Gesellschaft muss für sich festlegen, was innerhalb ihrer Grenzen konsensfähig ist. Ob das (auch) über vermeintlich profane Mittel wie Facebook geschieht, kümmert mich vergleichsweise wenig, so lange das Ergebnis stimmt. Ein Freund, auf dessen Meinung ich viel gebe, kanzelte diese Haltung mal als „Solutionismus“ ab.

Ich bin ehrlich gesagt ratlos. Welche Hilfe ist die „beste“? Falls ihr dazu eine Meinung habt, würde ich mich sehr freuen, sie später hier in den Kommentaren zu lesen.

Und nun zum Fußball, der (nicht nur) heute nicht ganz ohne Politik auskommt.

blogundpresseschau

1. Nachdem sich kürzlich bereits der FC Schalke medienwirksam für einen menschlicheren Umgang mit in Not Geratenen (gestern in der #Link11) stark gemacht hatte, zog der FC Bayern gestern mit einer Millionenspende an Flüchtlingsprojekte nach. Keine Frage: Die Diskussion über Flüchtlinge und Rechtsradikalismus ist in der Bundesliga angekommen (Welt). Gut so. Auch in der Sportblogger-Landschaft sind politischere Themen dieser Tage wieder häufiger zu lesen. Bayern-Fan Breitnigge zum Beispiel hat kürzlich einen beeindruckenden Rant über (unter anderem) Flüchtlinge & die Doppelmoral „asylkritischer“ Fans abgeliefert, den ich nur empfehlen kann.

2. Auch BVB-Innenverteidiger Neven Subotic war einmal ein Flüchtling. Heute engagiert er sich neben seiner Fußballkarriere in aller Stille für Entwicklungsprojekte in Äthiopien und Mosambik. Patrick Brandenburg hat einen Spieler portraitiert, der ein bisschen anders als die meisten seiner Berufskollegen zu sein scheint (ZDF Sport). Ein weiterer BVB-Innenverteidiger, nämlich Mats Hummels, gab Jan Christian Müller derweil ein launiges Interview über Lob, Ballbesitz und seine Essgewohnheiten (Frankfurter Rundschau).

»Das Geld wird niemals die entscheidende Rolle bei einem Wechsel spielen.«

3. Bei aller Freude über das soziale Engagement diverser Fußballclubs bleibt jedoch zu hoffen, dass auch Sportvereine beginnen, „sozial“ und „politisch“ nicht (wie bisher) zu trennen. Die Vorstellung, irgendein Lebensbereich könne „unpolitisch“ sein, ist absurd. Passend hierzu gibt es in der Fanszene von RB Leipzig, das kürzlich einigen seiner Anhänger das Zeigen antirassistischer Spruchbänder untersagt hatte, Diskussionen darüber, welche Fanblock-Utensilien ein Verein dulden muss (darf? kann?). Sachlich und lesenswert aufgearbeitet hat das Thema – natürlich – der Rotebrauseblogger.

4. Am morgigen Freitag geht die Qualifikation zur Herren Euro 2016 in die nächste Runde. Julien Wolff attestiert der deutschen Nationalmannschaft vor dem richtungsweisenden Duell mit Polen ein chronisches Stürmerproblem (Welt). Die Niederlande verloren bereits gestern überraschend gegen den vermeintlichen Fußballzwerg aus Island. Warum „vermeintlich“, erklärt Fabian Held (Spiegel). Ein großes Politikum sind nicht nur in Deutschland die Bekanntgaben der Nationalmannschaftskader. Nicht so in Österreich, wo Trainer Marcel Koller in den letzten Jahren weitestgehend seinem Stammpersonal vertraute. Philipp Eitzinger bedauert das und wünscht sich die Zeiten von Ex-Teamchef Krankl zurück, von dem es hieß, kein Österreicher, der einen Ball geradeaus schießen könne, sei vor ihm sicher (Ballverliebt).

5. Ein mangelndes Bewusstsein für gesellschaftlich-politische Fragen kann man dem BVB-Blog Schwatzgelb sicher nicht vorwerfen. Und seien es auch, wie in diesem Falle, „nur“ preis-politische: In der Rubrik „Unsa Senf“ hat man sich Gedanken über die Umsetzbarkeit einer (fairen) Gehaltsobergrenze im Fußball gemacht.

6. Von Dortmund nach Gelsenkirchen. Das allseits bekannte Groundhopper-Gespann der Wochenendrebellen war dort vor einiger Zeit in der (leeren) Veltins-Arena zu Gast und bemerkten (wenn auch nicht erst zu diesem Zeitpunkt), dass Schalke ein Verein ist, den es sich zu mögen lohnt.

7. Ein etwas anderer Fußballverein ist der derzeitige spanische Tabellenführer SD Eibar. SD Wer? SD Eibar! Der Guardian erklärt, mit wem wir es da zu tun haben.

8. 

»Es ist alles viel größer, es gibt viel mehr Spektakel, viele Schweizer fahren deshalb gerne über die Grenze, um sich richtigen Fußball anzusehen, wobei man natürlich feststellen muss, dass auch bei uns guter Fußball geboten wird. Aber ich sehe die Schweizer Liga eher als Ausbildungsbetrieb. Jeder kleine Junge wächst hier mit der Bundesliga auf.«

Hoffenheims Pirmin Schwegler in der SZ über die gegenseitige Anziehung von deutscher Bundesliga und Schweizer Fußballern.

9. Zum 70. Geburtstag von Franz Beckenbauer zeigt die ARD ein Porträt des Mannes, der ausschließlich an seinen Verdiensten für den deutschen Fußball gemessen wird. Leider, schreibt Birger Hamann, denn der Kaiser  hat genügend Schattenseiten, die es eigentlich zu thematisieren gäbe (Spiegel).

10. Wer einen Beweis dafür gesucht hat, dass ungefiltertes Transfer-Deadline Gedudel Fans mental schädigen kann, der wird bei „Who Ate All The Pies“ erhört. Dort hat Chris Wright herausgefunden, dass Nostradamus vor 460 Jahren die Transfereskalation von Manchester United vorausgesagt hat.

11. Claudio Pizarro zurück zu Werder Bremen? Was klingt wie ein nostalgischer Marketing-Gag, könnte beiden Parteien ernsthaft weiterhelfen, schreibt Thiemo Müller im Kicker.

Meist geklickter Link gestern
Constantin Eckner im FOCUS zu den taktischen Gründen für die BVB-Abgänge Großkreutz und Kuba.

Geburtstagskind des Tages

Wer hat heute Geburtstag? Einfach in die Kommentare posten! (Auflösung von gestern: Samuel Osei Kuffour wurde 39.)

Field Reporter

»Viele Fußballer wissen ihr Leben nicht zu schätzen. Wir alle haben ein super Leben, können uns alles leisten, haben viel Freizeit. Klar, es gibt auch negative Punkte: Der Zeitraum, in dem wir Geld verdienen, ist kurz, wir können nicht oft feiern gehen, müssen aufpassen in der Öffentlichkeit. Trotzdem. Wir können uns nicht beschweren! Das erst durch so eine Krankheit so intensiv erfahren zu haben, ist eigentlich schade.«

Der kürzlich an Krebs erkrankte (und derzeit als geheilt geltende) Benny Köhler über neue Blickwinkel (Hannoversche Allgemeine)

Mixed Zone
Hamburg: Uwe Seeler macht sich Sorgen.  + + + Zo Foß: Ein Engländer zu Gast beim Effzeh (The Set Pieces) + + + Schleichwirbt: Jogi Löw. Beschwert sich: Trainer Baade + + + Buchrezension: Schwartzmarkt Tickethandel (Soccer Warriors) + + + Gelsenkirchen: Die 7 Baustellen des A. Breitenreiter (Halbfeldflanke)

6 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo David, ich finde es immer schwierig, wenn jede Aktivität „durchleuchtet“ wird und man unterstellt, der eine oder die andere mißbrauche ihre Aktion für PR-Zwecke. Damit diskreditiert man alle, auch die, die keinen öffentlichkeitswirksamen Nutzen daraus ziehen wollen. Deshalb bin ich bei Dir: Jede der Aktivitäten kann positive Effekte nach sich ziehen, wenn es nur einem hilft, wenn nur einer über sein Handeln nachdenkt, dann hat es sich gelohnt. Der Fussball kann da auch „verbindend“ sein, im besten Sinne des Wortes, er kann Augen öffnen und er kann bloßstellen.
    Klaus Höltzenbein von der SZ schrieb diese Woche sinngemäß, dass es den Profi-Clubs schwer falle, zu begreifen, dass ihre gesellschaftliche Rolle über den reinen Sport hinausgeht, dass der Sieg nicht ihr einziges Ziel um jeden Preis sein dürfe, sondern dass die Herausforderung hinter den Stadiontoren erst beginne. Jetzt unternehmen die Vereine etwas – ob mit schönen Bildern, klaren Botschaften oder Millionenspenden – und beziehen damit ganz klar Stellung. Das ist gut so und gibt allen (Fans) damit eine Steilvorlage – das ich es Vertikalpasse nenne, ist ja klar ;-) – nicht nur „Refugees welcome“-Schilder hochzuhalten und entsprechende Hashtags zu verteilen, sondern auch danach zu handeln. In diesem Sinne, sportliche Grüße und an dieser Stelle auch ein „Riesendank“ (so würde es Jürgen Klinsmann sagen) für die hervorragende Arbeit der Link11! Freu‘ mich jeden Tag drauf!

    • Hi!
      Vielen Dank für deinen Kommentar und das nette Lob! Ich stimme dir zu und denke sogar, es ist gar nicht schlimm, wenn Menschen (oder Unternehmen) wollen, dass ihr Engagement auch wahrgenommen wird. Noch nicht einmal dann, wenn das wiederum zu einem gewissen Prozentsatz deshalb geschieht, weil sie selbst dadurch positiv(er) wahrgenommen werden möchten. Ich gebe zu, dass ich persönlich es womöglich etwas bescheidener halten würde, doch für eine ehrenwerte Sache Anerkennung zu bekommen, ist am Ende vom Tag dann auch nicht sooo verkehrt, denke ich. :-)

      „Klaus Höltzenbein von der SZ schrieb diese Woche sinngemäß, dass es den Profi-Clubs schwer falle, zu begreifen, dass ihre gesellschaftliche Rolle über den reinen Sport hinausgeht, dass der Sieg nicht ihr einziges Ziel um jeden Preis sein dürfe, sondern dass die Herausforderung hinter den Stadiontoren erst beginne.“

      Das klingt interessant, vielen Dank für die Leseempfehlung!

      Besten Gruß,
      David

  2. Auch ich stimme dir zu. Jede Aktion, die etwas bewegt oder jemandem hilft, ist sinnvoll. Auch symbolische Gesten können etwas bewirken und sei es nur, sich zu positionieren und der großen Menge das Gefühl zu geben, ‚es gibt noch mehr von uns, ich bin nicht allein‘. Die Rassisten glauben, die schweigende Mehrheit sei auf ihrer Seite. Wenn prominente Stellungnahmen die schweigende Mehrheit dazu bewegen, Stellung zu beziehen, schafft das eine Gegen-„Bewegung“, die genauso wichtig ist wie direkte Hilfe.

    Dennoch darf das natürlich nicht alles sein, es muss auch vort Ort geholfen werden und vor allem konkret an den Ursachen des ganzen hochkochenden Rassismus gearbeitet werden. Statements alleine bekehren keine Rassisten.

    Übrigens: die Ice Bucket Challenge mag ein großer Hype gewesen sein, der sich verselbständigt hat und dann vergessen wurde, aber es gab über 90 Millionen für die ALS-Foundation, da pfeif ich doch auf die Beweggründe jedes Einzelnen.

    • Hi!

      Vielen Dank für deine Antwort!

      „Auch symbolische Gesten können etwas bewirken und sei es nur, sich zu positionieren und der großen Menge das Gefühl zu geben, ‘es gibt noch mehr von uns, ich bin nicht allein’. „

      Sehr schön gesagt.

      „die Ice Bucket Challenge mag ein großer Hype gewesen sein, der sich verselbständigt hat und dann vergessen wurde, aber es gab über 90 Millionen für die ALS-Foundation, da pfeif ich doch auf die Beweggründe jedes Einzelnen.“

      Sehe ich ähnlich! Es geht zwar immer auch, wie du oben ja schön gesagt hast, darum, ein Bewusstsein für eine Sache zu schaffen, doch ALS-Patienten haben unter dem Strich durch die Challenge nur gewonnen.

      Beste Grüße,
      David

  3. Happy Birthday, Benjamin Weigelt! :)

    Zum Thema: Wenn etwas hilft, ist es erst mal etwas Gutes.
    Wenn dies im Stillen und ohne Hintergedanken der Werbung passiert, steigt die Person sicher im Ansehen derer, die es mitbekommen, noch mehr.

    Bzgl. der Spende des FC Bayern: Ich bin hier tatsächlich etwas zwiegespalten und hätte wahrscheinlich eine Formulierung ohne konkrete Nennung der Summe besser gefunden, andererseits hätte dies wieder andere Personen wohl ebenso gestört.
    Unterm Strich bleibt: Wenn Vereine wie S04, BVB und FCB sich bei so etwas wie #RefugeesWelcome engagieren, so freut mich das. Ebenso bei der Nationalelf. Weil sie einfach unfassbar viele Menschen erreichen, unter ihnen sicherlich genug, die mit „Ich bin kein Nazi, aber…“-Statements durch die Gegend stümpern.
    Wenn sie dabei auch noch etwas Karma für ihr Unternehmen abgreifen, so gönne ich ihnen das auch, da übersteigt für mich der Zweck den (eventuellen) Hintergedanken.

    • Hi!

      Vielen Dank für deine Antwort und: Richtig! :-)

      „Ich bin hier tatsächlich etwas zwiegespalten und hätte wahrscheinlich eine Formulierung ohne konkrete Nennung der Summe besser gefunden, „

      War auch mein Gedanke.

      „Weil sie einfach unfassbar viele Menschen erreichen, unter ihnen sicherlich genug, die mit “Ich bin kein Nazi, aber…”-Statements durch die Gegend stümpern.“

      Exakt!

      Beste Grüße,
      David

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