Kabinenpredigt: The Homes of Football – Britische Fussballkultur in den 90er Jahren

Die 80er Jahre waren für den britischen Fussball wohl die prägendsten. Heysel, Hillsborough und Bradford sind Stichworte, die den meisten Fussballfans – auch auf dieser Seite des Kanals – einen Schauern über den Rücken jagen. Unter anderem wegen dieser Katastrophen stand der Fussball in seinem Mutterland vor weitreichenden Veränderungen, die Stuart Roy Clarke fotografisch dokumentiert hat.

Ob diese Veränderungen nun nötig waren oder nicht. Ob diese nun übers Ziel hinausschossen oder nicht. Ob es nun an dem politischen Kalkül von Margaret Thatcher, der eisenern Lady, lag oder nicht: Ab Ende der 80er und vor allem im Verlauf der 90er Jahre begann sich der Fussball in England zu wandeln. Sicher spielten dabei auch ganz andere Faktoren eine Rolle – mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des Fussballs sei nur eine genannt. Sicher ist aber auch, dass sich Britanniens Fussball nie mehr so verändern sollte, wie er es in den 90ern tat. Stuart Roy Clarke hat dies in seinem Bildband eindrücklich dokumentiert.

Stacheldraht vor Millwall-Fans

Copyright: Stuart Roy Clarke & Spielmacher

Nicht zu Unrecht bezeichnet 11Freunde-Chefredakteur Philipp Köster den Fotografen Stuart Roy Clarke im Vorwort als den „Dokumentar des Wandels“. Auch wenn Clarke diese Absicht vermutlich gar nicht hatte, als er die Fotos geschossen hat, so zeigen sie doch eindrücklich auf, was sich alles verändert hat. Undenkbar ist heute, dass die Fans von einem mit Stacheldraht versehen Zaun vom Spielfeld getrennt werden, wie es noch 1990 bei Millwall der Fall war. Undenkbar ist heute, dass sich Journalisten von der Pressetribüne per Telefon an die Redaktion wenden, um einen Spielbericht zu diktieren, wie dies noch 1996 in Kilmarnock gepflegt wurde. Undenkbar ist heute, wie gleich mehrere Vereinsangestellte händisch den Spielstand auf einer hölzernen Tafel aktualisieren, wenn ein Tor gefallen ist, wie noch 1991 bei Shrewsbury Town. Clarke zeigt aber auch auf, dass mutmasslich durch den modernen Fussball eingeführte Neuerungen schon viel länger Bestand haben, als man denkt. Zeuge dafür ist beispielsweise West Hams Upton Park, der schon 1990 über einen Family Stand verfügte.

Stadien, die komplett abgerissen wurden; die Einführung der All-Seater-Stadien; die Abschaffung der Zäune zum Spielfeld hin. Kurzum: Mit den Stadien hat auch der Fussball in Grossbritannien ein neues Gesicht erhalten. Clarke schafft es nicht nur, dies festzuhalten, in dem er die quasi prä-modernen Stadien ablichtet. Er bannt auch den Wandel an sich auf Papier. Der Abriss der alten Tribünen des Old Trafford in Manchester oder die sich bereits im Bau befindlichen neuen Tribünen für die Fans von Newcastle United oder Bradford City zeugen davon.

Abbruch Old Trafford

Copyright: Stuart Roy Clarke & Spielmacher

Man kann den Bildband als romantisierende Ode auf die Vergangenheit des britischen Fussballs sehen. Und in der Tat gibt es dafür Anhaltspunkte. So zum Beispiel die Landkarte der englischen Stadien auf der Innenseite des Buchumschlags, wo beispielsweise das American Express Community Stadium in Brighton schlicht als Falmer Stadium aufgeführt wird, wie es wegen seiner geographischen Lage vor der Vergabe des Namensrechts genannt wurde. An dieser Stelle sei die Randnotiz erlaubt, dass auf jener Karte sogar die Isles of Scilly mit der selbst proklamierten kleinsten Liga der Welt vermerkt sind. Auch Philipp Köster schlägt im Vorwort – zumindest teilweise – in diese Kerbe, wenn er sagt: „Der ideale Zuschauer in dieser schönen, neuen Fussballwelt sitzt auf einem Schalensitz, schwenkt sein Fähnchen und will unterhalten werden.“ Man kann den Bildband aber auch als Begrüssung des neuen Zeitalters im Mutterland des Fussballs sehen. Denn auch dafür gibt es Anhaltspunkte: Der erwähnte Stacheldraht in Millwall wird wohl niemanden dazu verleiten, sich dorthin zurückzuwünschen.

Ob man nun in Clarkes Bildern das eine oder das andere sieht: Die Momente, die Clarke festhält, werden jeden Fussballfan erfreuen. Und sei es nur das scheinbare Detail, dass er oft genau im richten Zeitpunkt auf den Auslöser drückte. So zum Beispiel bei einem Freistosstor in Sunderland, über das erst der Schütze selbst jubelt, während die restlichen 21 Spieler noch realisieren müssen, was gerade passiert.

Cover Homes of Football

Copyright: Stuart Roy Clarke & Spielmacher

Titel: The Homes of Football – Britische Fussballkultur in den 90er Jahren
Autor: Stuart Roy Clarke
Typ: Bildband mit unzähligen in und um Grossbritanniens Stadien geschossenen Fotos aus den 90er Jahren
Preis: 54.90 CHF / 39.80 EUR
Seiten: 240
Infos: www.homesoffootball.co.uk
Empfehlenswert für: Alle, die in Bildern von Fans, Stadien und deren Umgebung mehr erkennen können als nur einen festgehaltenen Moment. Speziell empfehlenswert für alle mit einem Flair für Grossbritannien und seinen Fussball.

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In unregelmässigen Abständen werden in dieser Kategorie verschiedene Erzeugnisse rezensiert, die grob mit Fussballliteratur zusammengefasst werden können: Magazine, Bücher, Fanzines, … Der Rezensent, Ruben Schönenberger, schreibt selber über Fussball in seinem Blog, für das Fussballmagazin SENF und ab und an für weitere Erzeugnisse.

2 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Pingback: #Link11: Die Motten und das Licht | Fokus Fussball

  2. Mit einer Atmosphäre aus den 80’ern, und Stadien mit Stehrängen, wäre die Premiere League heute noch um ein grosses Stück attraktiver. Ein Jammer was damals kaputt gemacht wurde. Da hat man sich selbst um etwas beraubt.

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