#Link11: Poetische Hysterie

Der europäische Ligafußball nähert sich seinem Saison-Endspurt. Das heißt der Erfahrung nach: Alle flippen völlig aus. Vereine, Fans und Medien stacheln sich gegenseitig zu einer mordsmäßigen Gaudi an, Werbeagenturen erledigen mit Imagekampagnen den Rest. Stimmige Gesamterscheinung einer Unterhaltungsindustrie für den Einen, eine Spur zu viel Ablenkung für den Anderen. Trotz des täglichen Liga-Hintergrundrauschens stand der gestrige Tag aber unter dem Eindruck des Todes zweier großer Denker und Fußballfreunde. Fraglos haben Eduardo Galeano und Günter Grass Fußball anders kennengelernt, als er heute ist. War er besser? Vielleicht ein bisschen romantischer. Dieser Montag jedenfalls bot reichlich Anlass (und Themen), um über „Werte“ & „Tradition“ im Fußball zu philosophieren.

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1. Eduardo Galeano war ein gefeierter Autor & Journalist, eine der einflussreichsten politischen Persönlichkeiten Lateinamerikas (Guardian) – und ein großer Fußballfan. Sein gestriger Tod ruft Erinnerungen an sein Kultbuch „Soccer in Sun and Shadow“ sowie daran wach, wie einzigartig er die martialische Poesie dieses „verrückten englischen Spiels“ beschrieb.

2. „Poesie“ ist in etwa das letzte Wort, das mir zum Spiel des HSV einfallen würde. Der taumelnde Dino kann einem wirklich leid tun. Hoffnungsträger Thomas Tuchel ist verhindert (FAZ), die Fans sind aufgebracht, Valon Behrami und Johann Djourou…sogar noch aufgebrachter. Wenig überraschend braucht der HSV für den medialen Spott nicht zu sorgen (NDR). Nein, wirklich nicht (NJOY). Und als ob das alles nicht schon Folter genug wäre, bedroht nun auch noch der rachsüchtige Ex Verein und Spieler.

Wir erleben einen Traditionsclub vor dem kompletten Zusammenbruch. „Wir“, das heißt, alle außer Andreas Bock. Der erklärt für 11 Freunde, warum der HSV selbstverständlich nicht absteigt.

3. „Jung & frech“ lautet der Markenclaim des SC Paderborn. Nur verständlich, dass man sich da bei der Vereinswerbung auch mal etwas Frecheres einfallen lässt. Zum Beispiel einen fingierten Einbruch ins eigene Stadion (FAZ). Erstligareif.

4. Abstiegskampf, das ist der permanente emotionale Ausnahmezustand für Fans. Die Stimmung auf den Rängen ist meist gedrückt, Ultras kritisieren zum Teil lautstark das eigene Team. Das mag nicht immer schön sein, gehört aber dazu. Die strauchelnden Vereine halten mit einem Werbe-Dauerfeuer dagegen. Durchhalteparolen und Aufrufe zum Zusammenhalt werden per Tweet, Imagekampagne oder Aufkleber-Aktion in die Kurven getragen. Lars Gartenschläger erklärt die Institution Abstiegskampf zur Hochsaison der Klatschpappenkultur (Welt).

5. Nicht, dass man nicht auch mit den Nerven am Ende sein könnte, wenn man nicht im Abstiegskampf steckt. Das Web 0.4 Blog jedenfalls hat genug von der Lethargie des FC Schalke und beklagt die leeren Phrasen seiner Verantwortlichen.

6. Zlatan Ibrahimovic ist der Inbegriff des modernen Fußball-Superstars. Das verdankt der Stammgast jeder „Die 10 schönsten Tore aller Zeiten“-Auflistung nicht nur seinem einmaligen Talent, sondern auch einer einzigartigen Selbstvermarktung. Eine eigene Suchmaschine inklusive. Kritische Zwischentöne – oder anders: Journalisten – sind dabei zunehmend unerwünscht. Christian Eichler über die Einseitigkeit eines Fußball- und Medienphänomens (Welt).

7. Frank Lampard spielt für Manchester City. Steven Gerrard bald nicht mehr für Liverpool. Alessandro Del Piero schon lange nicht mehr für Juve. James Spiking fragt sich: Ist Loyalität im Fußball ein überholtes Konzept (Soccer without Limits)?

8. Eine neue Woche, neue Situationsanalysen zum Spiel des BVB. Die Kehrseite des Medieninteresses lernt in dieser Saison vor allem Trainer Klopp kennen. Zwar wird seine Mannschaft nach wie vor den Erwartungen nicht gerecht – jedoch ist sie immerhin 5. in der Rückrundentabelle. Christoph Cöln empfiehlt Dortmunds Trainer dennoch ein „Sabbatical“ (Welt), während sich Dirk Krampe über Michael Zorcs Halbzeitansprache während des Borussia-Derbys wundert (Ruhr Nachrichten). Man kann es drehen, wie man möchte: Die anhaltende Rückendeckung für Klopp scheint eine irritierende und zuweilen verärgernde Wirkung auf manche Betrachter zu haben. Dabei macht auch das Saisonfinale mit einer Prise Humor deutlich mehr Spaß.

9. Der Nachwuchs des FC Chelsea hat die prestigeträchtige UEFA Youth-League gewonnen (Spox). Dennoch sind Club und Trainer nicht dafür bekannt, sehr geduldig mit jungen Spielern umzugehen. Thorgran Hazard,  Kevin de Bruyne und aktuell 24 (!) Leihspieler können davon vermutlich ein Lied singen. Mark Worrall kritisiert José Mourinhos verschwenderischen Umgang mit Chelseas Jugendakademie und fragt, ob wohl der 18-jährige Lionel Messi bei Chelsea dieselbe Chance wie seinerzeit in Barcelona erhalten hätte – oder als Leihspieler bei Vitesse Arnheim versauert wäre (ESPN).

10. Verlieren gehört zum Fußball dazu. Das weiß niemand besser, als Spieler und Fans von Avenir Beggen, dem schlechtesten Team der Champions League Historie. Ex-Stürmer Armin Krings spricht mit 11 Freunde über die luxemburgische Liga und warum trotz deftiger Niederlagen die Freude am Spiel stets überwog.

11. Apropos alte Traditionen und Bräuche… „An einem Benefizspiel für den Frieden teilgenommen. Elfmeter geschunden. Siegtor geschossen. Schlägerei mit Journalisten und Ordnern gehabt.“ Ein normaler Nachmittag im Leben des Diego Maradona (11 Freunde).

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Der Verrückte von Marseille.

Field Reporter

„[…]es wäre sicher nicht gut, wenn sich der Frauenfußball ein Beispiel nähme an dem, was im Männerfußball geschieht, also im Grunde eine moderne Form hochdotierter Sklaverei. Die Spieler sind nicht mehr Herr ihrer eigenen Entscheidung, meistens sind Berater dabei, der Marktpreis wird jeweils von den Vereinen beim Verkauf oder Ankauf bestimmt, und das ist auch eine nicht würdige Situation für diese jungen Leute, die ja, was man voraussehen kann, dieser Situation auf die Dauer auch nicht gewachsen sein werden.“

Günter Grass bevorzugte den Frauenfußball (Deutschlandfunk).

Mixed Zone
Bremen: Alles ist möglich. Marco Bode blickt in die Zukunft (Weser Kurier) + + + Liverpool: Eine Ode an Jordan Henderson, den neuen Boss der Reds (8by8) + + + Frankfurt: Alex Meiers Saison ist vorbei (Spiegel) + + + Turin: Gigi Buffon spielt weiter. Und weiter und weiter…. (Spiegel) + + + Hannover: 96’s Ultras haben sich in den Amateurfußball zurückgezogen. Ein Erlebnisbericht aus der „heilen Welt“. (taz) + + + Bremen: Der SV Werder fliegt im Sommer nach Bali (Weser Kurier)

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