Aus und vorbei. International darf der SC Freiburg nicht mehr ran in dieser Saison. „Man gut“ mag der ein oder andere denken, denn die Mannschaft kämpft mit den Abgängen, den Schiedsrichtern und sich selbst und steckt tief im Tabellenkeller. Vielleicht auch wegen der Belastungen durch die leidige Gruppenphase der Europa League.
Sven Metzger ist Freiburg Fan. Leider noch ohne eigenen Blog (aber mit vielversprechendem Gastauftritt). Dafür mit ganz viel Herz. Er nimmt den Europapokal trotz all der negativen Begleiterscheinungen als das wahr, was er für einen kleinen Sport-Club und seine Anhänger ist: als ein verdientes Geschenk.
Das soll er also sein, dieser Europapokal?
Seit Monaten auf diese Reise gefreut, Urlaub genommen, die beste Gattin von allen mit den Kindern zwei Tage allein gelassen, einiges an Geld ausgegeben, um 3.30 Uhr aufgestanden, den ersten Flug des Tages überhaupt ab Frankfurt genommen, am Tag vor der Reise aufgrund angekündigter Streiks noch einen Mietwagen organisiert, unendlich lange am Flughafen auf die Wagenübergabe gewartet, die freie Zeit in der Stadt verbracht, anschließend wieder zum Flughafen und zwei Begleiter eingesammelt, dann wieder in den wohl täglichen Verkehrswahnsinn Lissabons begeben, das Hotel bezogen, was gegessen, noch weitere zwei Begleiter eingesammelt um schließlich zwei Stunden vor Anpfiff am Stadion zu sein.
Ein Stadion, das bei uns noch nicht mal die Auflagen für die Regionalliga erfüllen würde. Eine Anzahl von Heimzuschauern, die ich hier von der Zweiten Bundesliga im Handball kenne. Supporter, die wirken als seien sie bei der Aufnahmeprüfung des AK Stimmung von Bayer Leverkusen durchgefallen. Dazu ein Stadionsprecher der mit seinen permanenten “Schdoriiiiiiil”-Rufen den Schreihals von Mainz 05 blass vor Neid werden ließe.
Das alles im strömenden Regen von Estoril. Ja, strömender Regen in Portugal, der zehn Minuten vor dem Spiel einsetzt. Der Regen von Schdoriiiiiiil.
Auch das Spiel ist nicht dazu angetan, dass es irgendwie besser wird. Der SC Freiburg zeigt, dass er zurecht um den Klassenerhalt in der Bundesliga kämpfen muss und am Ende sind alle froh, dass es dank eines überragenden Oliver Baumann zu einem 0:0 gereicht hat. Das Vorbereitungsspiel beim SVN Zweibrücken diesen Sommer hatte sicherlich kein höheres Niveau.
Dafür hast Du das also alles auf Dich genommen?
Für solche äußere Bedingungen?
Für solch einen armseligen Kick?
Die Antwort werden all jene nicht verstehen, für die die Europa League nur ein Pokal für Verlierer ist, für die Fußball nur in diesen modernen, überall gleich aussehenden Arenen stattfindet.
Ja, genau dafür hat sich all das gelohnt!!
Es ging schon am Flughafen in Frankfurt damit los, morgens um fünf Uhr Schals und Trikots des Vereins zu sehen. Ging weiter an allen größeren Plätzen Lissabons, an denen rot-schwarz die vorherrschende Farbkombination war.
Nicht zuletzt gab es die Gemeinschaft der Fünf, die sich bis dahin mehr oder minder nur über Twitter kannten und sich 2000 Kilometer entfernt der Heimat zum Kennenlernen und Spielbesuch verabredet hatten. Das ist Europapokal.
Europapokal ist auch wenn Du 50 Meter vom Stadion entfernt parkst und Dir als erstes der Haus- und Hoffotograf der Badischen Zeitung begegnet. Du Dich dann auch noch zusätzlich traust den Profi zu fragen, ob er mit Deinem Handy nicht ein Gruppenfoto machen würde (es ist übrigens trotz schwieriger Lichtverhältnisse perfekt geworden).
Und dann das Stadion: Mitten im Wohngebiet, mit dem Charme der Bezirkssportanlage Ennepetal Nord, Fassungvermögen für 5000 Zuschauer und zwei Stunden vor Spielbeginn selbstverständlich noch nicht geöffnet. So blieb ausgiebig Zeit, das Umfeld zu erkunden und sich an der Vielfalt der Artikel (es waren etwa fünf) im Fanshhop zu erfreuen. Schließlich gab es da noch die Verpflegungsmeile, bestehend aus zwei Imbissbuden, denen die Polizei das Geschäft ihres Lebens vermasselte, als sie um 19 Uhr Ortszeit begann die etwa 700 Freiburger von den beiden Ständen weg Richtung Stadioneingang zu drängen. Dies bedeutete jedoch im Umkehrschluss keineswegs, dass nun der Einlass schon geöffnet war. Was bei sonstigen Spielen zu Unruhe, Gedränge und Beschimpfungen hätte führen können, wurde hier mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen hingenommen. Auch das ist dann dankenswerterweise, Europapokal.
Und auf einmal: Regen. Ja, Regen in Portugal! 20 Grad, aber ein leichter Nieselregen, der nicht enden wollte. Natürlich kam es wie es kommen musste: Zehn Minuten vor Spielbeginn wurde aus dem Regen ein dauerhafter starker Schauer, gerade so als würde der Stadionsprecher mit seinen stakkatoartigen “Schdoriiiiiiil, Schdoriiiiiiil,Schdoriiiiiiil” – Rufen die Wolken zur Entleerung einladen.
Dann auch noch diese Hymne, diese furchtbare Europa League-Hymne. Als würde man bei der Champions League nicht jedes Mal genug gequält mit diesem kitschigen Pathos. Aber natürlich braucht auch dieser Wettbewerb seine eigene Melodie. Und was vor dem Fernseher nur grausam klingt, so künstlich, so aufgesetzt, so klebrig, hat plötzlich seine ganz eigene Wirkung auf mich. Ja, es ist wahr, Dein Team spielt wirklich international. Die Mannschaft hat es tatsächlich letztes Jahr geschafft das zu erreichen, woran nie jemand geglaubt hätte: Dass ein Verein mit einem Etat, mit dem gerade mal Robben, Ribery und vielleicht noch Alabas alter Vertrag zu finanzieren wären, es schafft in dieser Bimbesliga unter die ersten Fünf zu kommen. Dass diese Musik für meinen Verein gespielt wird, den ich seit etwa zehn Jahren immer wieder zu Spielen begleite. Und so liefen sie in meinem Kopf ab, die vielen emotionalen Stationen und Stunden, die ich in diesem Jahrzehnt mit dem SC verbracht hatte:
Das erste Mal im Dreisamstadion, die erste Dauerkarte (trotz jedes Mal insgesamt 400 Kilometer Fahrt zu den Heimspielen), das 0:7 gegen die Bayern im Pokal, dem drei Tage später ein 0:5 am Bruchweg folgte, der erste Abstieg als Fan, die Fahrten an den Tivoli, den Bieberer Berg, Heimspiele gegen Ingolstadt, Wehen, Burghausen, der Abschied von Volker Finke, der Umbruch unter Robin Dutt, der Aufstieg in Koblenz, das schwere erste Jahr mit hohen Niederlagen und dem Klassenerhalt mit einem 2:2 in Köln, das zweite Jahr Bundesliga mit einem Sieg beim VfB, dann das halbe Jahr und Markus Sorg, der Rauswurf von etlichen Spielern und der neue Trainer Christian Streich, das erste Spiel unter Streich mit dem 1:0 durch Matthias Ginter in der 86. Minute gegen Augsburg, der Glaube an den Klassenerhalt nach einem 0:0 gegen die Bayern, bei dem im Stadion eine Stimmung war wie nie zuvor und danach. Der Klassenerhalt nach der unglaublichen Rückrunde in Hannover bereits am 32. Spieltag, die Meisterfeier im Westfalenstadion. Und dann dieses Jahr, an dessen Ende beinahe etwas Enttäuschung über den fünften Platz und das Aus im Halbfinale des Pokals stand, aber das so viele emotionale Momente bereit hielt: Das Viertelfinale in Mainz bei dem es nach 10 Minuten 0:2 stand und schon die Frage im Raum stand, ob der Shuttle zum Parkplatz wirklich nur nach Spielende fährt. Das letzte Auswärtsspiel der Saison in Fürth als Oliver Baumann in der 90. Minute einen Elfmeter und damit die Qualifikation für den internationalen Wettbewerb hielt.
Es war, als würde ein Teil meines Fanlebens als Film ablaufen und mir sagen wollen: “Genieße das hier, genieße jeden Moment, jede Sekunde, denn so bald wirst Du das nicht mehr erleben.”
Ich habe alles in mich aufgesogen, den Stadionsprecher mit seinen Anfeuerungen, die Fans von Estoril mit ihrem eher merkwürdigen Support, das heruntergekommene, aber unglaublich charmante Stadion, die tolle Begleitung und den Regen, den Regen von Schdoriiiiiiil.
Und war das Spiel vielleicht auch eines der lausigsten, das ich je vom SC Freiburg im Stadion sah und ich nass bis auf die Haut, so war es doch mein größtes Erlebnis als Fußballfan.
Ich werde Dich nie vergessen, Regen von Schdoriiiiiiil.
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