Tor 12: Der reinste Fußball

adventskalender

Ich glaube, dass seine Fußballerlebnisse 2013 im Mai noch heute ein Lächeln in sein Gesicht zaubern können. Doch eine Wiederholung von bereits im eigenen Blog erzählten Erlebnissen kam nicht in Frage.

Umso schöner, dass Julian Ritter am 1.Advent in der alten Heimat war und uns an ganz besonderer Atmosphäre teilhaben lässt:

Ich hatte mit dem Spiel schon abgeschlossen, bevor es begonnen hatte. Ein besinnlicher Spaziergang am ersten Advent schien mir keine schlechte Alternative zu sein; ich verlangsamte meine Schritte. Die Straße war leer. Wo sonst die Ortskundigen parken, um die Abkürzung durch den Wald zu nehmen, war nur leeres Trottoir. Vor dem Kindergarten parkte ein einzelnes Auto. Keine Andeutung eines nahen Fußballspiels war zu hören, hier, am Waldrand, wenige hundert Meter Luftlinie vom Stadion entfernt. Ich musste mich im Termin geirrt haben, in der Zeit. Enttäuscht und nur noch leise hoffend nahm ich mir den spätherbstlich-matschigen Waldweg vor.

Auf diesem Weg war ich schon immer zum Fußball gegangen. Er war und ist bis heute Teil der kürzeste Verbindung zwischen meinem Elternhaus und dem Sportplatz. Zu Zeiten größten Andrangs war der unbefestigte Abschnitt durch den Wald durch einen Scheinwerfer des THW ausgeleuchtet worden, heute war ich als Einziger dort unterwegs. Mit dem Verlassen des Waldstücks traf ich auf den bis heute imrpovisiert wirkenden Schotterparkplatz. Es standen dort Fahrzeuge – weniger als bei den Regionalligaheimspielen üblich, aber deutlich mehr, als sich zu einem Spaziergang zufällig auf einmal einfinden konnten.

Die Frau im Kassenhäuschen unterhielt sich mit zwei davor stehenden Männern mittleren Alters. Mit den Worten »Ihr verscheucht mir meine Kunden!« reagierte sie auf mein Näherkommen und trieb die Plaudernden zur Seite. Beim Eintreten durch die Tore, beim Näherkommen an die Spielfeldumgrenzung war der vorherrschende Geruch nicht der von Bier, Bratwurst oder Zigaretten, es roch nicht nach abziehendem Feuerwerksnebel. Der Duft, der in meine Nase stieg, war der eines sorgsam gepflegten Rasens.

Die Stille des Hinwegs löste sich auch im Stadion nicht auf, mir fiel ein: Die erste Mannschaft der Gäste hatte an diesem Tag ebenfalls ein Spiel, das sich mit dem der U23 überlappte; der Gästebereich war darum vollkommen leer. Die Heimfans waren nicht im Mindesten an Gesängen oder Rufen interessiert, sie waren des Zusehens wegen gekommen und verhielten sich völlig ruhig.

Ich fand meinen Platz nahe der Mittellinie, auf angenehmer Höhe, die freie Platzwahl bei Spielen der zweiten Mannschaft ist Usus und angesichts der üblichen Zuschauerzahlen nicht weiter problematisch. Über die Zahl der Zuseher herrschte später Uneinigkeit; der Verein schrieb von 243, der kicker von 234 Zuschauern. Mit bloßem Auge war nicht zu bestimmen, welche der beiden Zahlen näher an der Wirklichkeit lag; in jedem Fall blieben etwa 6.000 Plätze frei. Auf der Tribüne herrschte eine adventliche Stille, der es zu verdanken war, dass zu hören war, welche Anweisungen die Trainer ihre Spielern gaben, mit welchen Worten der Schiedsrichter die Spieler bedachte, mit welchen Worten die Spieler sich verständigten und wie Kevin Akpoguma »Ficken, Mann!« rief, als ihm nach starker Balleroberung das Spielgerät über die Außenlinie sprang.

Die einzige gelegentliche Kommentierung von der Tribüne ging von mitgereisten Verwandten eines Gästespielers hinter mir aus. Nicht in einer Lautstärke, mit der sie auf dem Platz gehört werden konnte; diese zu erreichen wäre ein Leichtes gewesen. Die kleine Gruppe schien sich eher selbst Mut zuzusprechen. Mit gedämpft gesprochenen Sätzen wie »Jetzt geh durch, Peter!« wurde der Sprössling vom Sitz aus in Gedanken über den Platz bewegt, die Mitspieler, jedes Mal, wenn Peter nicht in zufrieden stellendem Maß ins Spiel eingebunden wurde, mit eher unflätigem Gemurmel bedacht. Da die Gastgeber das Spiel mit einer starken Leistung dominierten und sich knapp vor der Mittellinie lauernd im Pressing den Ball mehrfach schon von den Innenverteidigern schnappten, blieben Peters Aktionen als Offensivspieler selten. Aus Ballgewinnen im Pressing und Gegenpressing sowie schnellem Umschaltspiel fielen bis zum Ende der ersten 45 Minuten zwei Tore, zweimal traf ein 19-Jähriger, aus dessen starkem Jahrgang es bereits drei Spieler zu Bundesligaeinsätzen gebracht hatten.

Obwohl beide Mannschaften sich im durchaus vom Abstieg bedrohten Bereich der Tabelle bewegten, war dem Spiel auf dem Rasen kein Kampf anzusehen, keine Härte. Beide Mannschaften orientierten sich als Zweitvertretungen einer Bundesligamannschaft am Ziel, ihre Spieler weiterzuentwickeln und langfristig an die erste Mannschaft heranzuführen. Punkte scheinen ihnen nur als Mittel zum Zweck, die Klasse zu halten, zu dienen – um die Ausbildung im nächsten Jahr auf demselben Niveau fortführen zu können. Das war dem Spiel anzusehen. Der Fokus lag auf Ordnung in der defensiven Formation, auf Koordination im Pressing, auf Spielwitz nach der Balleroberung.

 

Der reinste Fußball.

 

In der Halbzeit verließen Spieler, Trainer und Schiedsrichter den Platz, der Stadionsprecher, der schon vor ewigen Zeiten die Durchsagen machte und dessen Stimme mir bis heute als Prototyp einer Stadionsprecherstimme im Ohr ist, verkündete den Halbzeitstand und stellte dann in angenehmer Hintergrundlautstärke zeitlose Halbzeitmusik an. Status Quo. Mit der Pause, die sich das Spiel nahm, wurde deutlich, wie sehr alles Geschehen auf diese jungen Männer auf dem Rasen ausgerichtet gewesen war. Einzelne Zuschauer begaben sich zum Verpflegungsstand. Sich aufwärmende Spieler beider Mannschaften, einander aus den Jugendmannschaften bekannt, begrüßten sich per Handschlag. Über der Gegentribüne, die im Wesentlichen eine Schallschutzwand zur Talseite wenige Meter hinter der Aus-Linie darstellt, tauchte die Nachmittagssonne zwischen den Wolken auf.

Zwei Tage später stand die erste Mannschaft im DFB-Pokal-Viertelfinale. Der Coach, der zuvor jahrelang die eigene U23 trainiert hatte, bot in der Startelf fünf Spieler auf, die über die zweite Mannschaft an die Bundesligaauswahl herangeführt worden waren, weitere vier saßen auf der Bank. Hoffenheim besiegte Schalke durch drei Tore in drei Worten: Umschaltspiel, Pressing, Gegenpressing.

3 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Sehr schöner Text, bei dem sich der geneigte Leser (hier: ich) mit etwas Verspätung fragt, ob am lange Zeit geheim gehaltenen Ort des Geschehens tatsächlich auch im Nachwuchsbereich von „Kunden“ gesprochen werde, oder ob der Autor mit jenem Zitat lediglich auf bemerkenswerte Art und Weise mit bekannten Klischees spielte, die die Zahl der in Frage kommenden Bundesligavereine nennenswert verringerte.

    • Was geschrieben wurde, war auch gesagt worden, leichte Anpassungen in der Sprachfärbung (bspw. »Geh duasch, Peda!«) vorbehalten. Das Spiel mit dem Klischee entsteht hier im Auge des geneigten Kamke, so gerne ich behaupten können würde, diesen Kniff bewusst eingebaut zu haben.

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