#Link11: Das Kartenhaus zerfällt

Stellt euch die Fifa als ein sauber aufgestelltes Kartenhaus vor. Mühsam reihte der Architekt Sepp Blatter über die Jahre eine Karte an die andere, auf jeder prangte ein anderer Kopf, verbunden mit einer anderen Gefälligkeit, die mal früher, mal später eingelöst wurde. Jede Karte erzählt einen eigenen Kriminalfall. Das ist die Fifa. Was wir gerade erleben ist, wie Ermittler diese Karten umdrehen, sie inspizieren und dem Haus entreißen. Das Gebilde beginnt zu zerfallen. Schon im Juni zeichnete sich ab, dass die Konstruktion fragil geworden war, erste Karten verschwanden. Doch das Haus stand wie ein Jenga-Turm nach einigen Runden. Nun aber wurden das Dach (Sepp Blatter und Jerome Valcke) und das Stockwerk darunter (Michel Platini) entfernt. Vorerst. Für 90 Tage den Ämtern enthoben. Das Fifa-Haus hat aber weitere Stockwerke, manche stehen noch und vermutlich liegen darunter tiefe Keller. Dazu einige Analysen hier.

An eine unfertige Baustelle erinnerte in den vergangenen Jahren der Liverpool FC. Geld war da, hochveranlagte Spieler auch, das legendäre Publikum ohnehin. Nur Brandon Rodgers schien vor allem in den vergangenen Wochen nicht mehr der richtige Trainer gewesen zu sein. Der neue Baumeister: Jürgen Klopp. Mal sehen, wie lange er für die Fertigstellung braucht.

Um in der Sprache zu bleiben: Ein WM-Sieg ist so etwas wie das eingerahmte Hochglanzfoto der fertigen Villa. Doch gerade tut sich hier und da wieder eine Baustelle auf. Die Nationalmannschaft ist das dritte große Thema heute.

Die Link#11, heute im Bauhaus-Stil.

blogundpresseschau

1. Vermutlich habt ihr es mitbekommen. Gestern war ein sporthistorischer Tag. Sepp Blatter ist nicht mehr Präsident der Fifa. Vorerst. Die Fakten:

Das unabhängige Fifa-„Ethik“-Komitee hat gestern Sepp Blatter und Michel Platini für 90 Tage von allen Fußballämtern suspendiert. Zudem wurde Fifa-Präsidentschaftskandidat Chung Mong-Joon für sechs Jahre gesperrt. Alle drei wollen dagegen vorgehen. Jerome Valcke war ohnehin schon von der Fifa suspendiert worden.

Damit stehen Fifa und Uefa für 90 Tage ohne ihre bisherigen Präsidenten da, übernommen haben die formellen Stellvertreter Isaa Hayatou (Kamerun, Fifa) und Angel Maria Villar (Spanien, Uefa). (Der eine taucht nachweislich korrupt auf der ISL-Liste auf, der andere ist der Initiator der sagenhaften Idee mit dem Bestechungspaket Russland / Katar.) Ja so sieht sie aus, die sportpolitische Welt des Fußballs. Wenn Sie bis hierhin noch dabei sind, nun zu den Artikeln:

Gewohnt sachlich und mit der nötigen Expertise ausgestattet analysieren Thomas Kistner und Johannes Aumüller den gestrigen Tag. Sie sehen nun Tokyo Sexwale und Jerome Champagne in das Machtvakuum vorstoßen.

2. Ein weiterer Kenner des Szene ist Jens Weinreich. Auf Spiegel Online erklärt er die Rollen der wichtigsten Personen des gestrigen Tages. Auch bei ihm kommt Tokyo Sexwale eine zentrale Rolle zu. Etwas überraschend sieht er Sepp Blatter als Gewinner des Tages.

In seinem Blog erweitert er die Fragestellungen, bekommt Antworten vom Sprecher der Audit & Compliance Kommission und der Untersuchungskammer der Ethikkommission der Fifa und packt auch die lancierten Stellungnahmen mit in seinen Text.

3. Einer anderen Frage geht Owen Gibson im Guardian nach: Wer führt die Fifa jetzt? Seine erhellende Analyse: Eine Gruppe von Juristen, denn genau die braucht es jetzt. Warum, das führt Gibson zielgenau aus.

4. Was macht eigentlich der DFB, in Person seines Präsidenten bekennender Platini-Fan?

Achtung, es folgt keine Satire: Der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach stützt weiterhin den Uefa-Boss Platini (via Uefa-Exekutivkomitee), nicht aber den suspendierten Fifa-Boss Sepp Blatter (via eigenem DFB-Video). Alles klar, oder?

Weil das natürlich einleuchtend ist, springt Deutschlands größte Tageszeitung bereitwillig über das Stöckchen und lobt DFB-Niersbach als „unverbraucht, kompetent und unbelastet“ (Sportbildchef Alfred Draxler, vor kurzem ausgezeichnet als bestes Sportmagazin). Um es klar zu sagen: Das ist falsch. Niersbach hat im Januar 2013 die Fifa-Reformblockierung durch die europäischen Verbände mitgetragen und weiß angesichts drohender neuer Enthüllungen offenbar gerade nicht, an wen er sich klammern kann. Für den selbsternannten „größten Sportverband der Welt“ ziemlich wenig. Unverbraucht wirkt das auch nicht.

5. Herrlich Ironisches kommt aus meiner Lieblingsstelle für solche Momente bei Zeit Online: Oliver Fritsch nimmt sich Sepp Blatter und seinen PR-Berater Klaus Stöhlker vor, der gestern doch tatsächlich behauptete: „Herr Blatter freut sich nun auf drei Monate Urlaub.“

W  A  H  N  S  I  N  N

Kollege Fritsch hat für ihn einen amüsanten Vergleich in der Weltgeschichte gefunden: Den ehemaligen irakischen Informationsminister Muhammed Saeed al-Sahaf („Comical Ali“), der im Irak-Krieg 2003 mit Sätzen wie „Ich spreche besseres Englisch als George Bush“ aufwartete. Köstlich.

(Gerne würde ich nun noch einen Link publizieren, der einen verlässlichen Ausblick auf die kommenden Wochen gibt, ob es die Fifa überhaupt braucht und weitere solche Fragen klärt. Das ist aber momentan meiner Meinung nach noch nicht absehbar, deshalb stehen hier die Analysen des gestrigen Tages.)

6. Nun zur zweiten großen Baustelle des Tages (Bauen, Einleitung, ihr erinnert euch?). Noch vor einer Woche war die Verbindung Klopp – Liverpool nicht mehr als ein Plan im Hinterkopf der LFC-Manager, gestern abend saß Klopp mit breitem Grinsen vor einem fertigen Vertrag.

Hierzulande gibt es kaum noch Geschichten über Klopp zu erzählen, umso spannender ist es, wie die englische Presse reagiert. Raphael Honigstein arbeitet als deutscher Journalist in England, hat demzufolge einen Fühler für beide Atmosphären. Das der Wechsel unterschiedlich aufgefasst wurde, verdichtet er hier zu einem Text. Zudem schimmert auch Klopps Absage an die Bayern durch.

Ein Deutscher, der ebenfalls weiß, wie die Anfield-Seele tickt, ist „Istanbul-Hero“ Didi Hamman. Hier gibt er in einer Mischung aus Rodgers-Abrechnung und Klopp-Ausblick fünf Einschätzungen zum neuen Mann in Liverpool.

7. Biographischer wird es beim Independent: Der beginnt mit Klopps Kindheit, als Liverpool gerade seine Trophäensammlung erweitern musste, seinen Weg über den Bundesligaprofi zum charmanten TV-Experten und seine Reife zum Erfolgstrainer.

8. For the Anfield-Fans, der Tag gestern was like a big dream wird wahr. The big lyriker Stephan Reich, arbeiting for 11Friends, has made a brilliant Sammlung of Klopp-Eigenschaften, and übersetzt has he it in English for the Liverpool-Anhänger. A Kostprobe:

“Also, if you don’t like TV-Werbung, you’ll soon have a problem, because in things of werbung, he’s a real thousandsassa.”

9. Weil sie so gut sind: Hier die Reaktionen von Klopps ehemaligen Vereinen.

 

 

 

10. Am anderen Ufer der Irish Sea spielten gestern einige ehemalige Klopp-Schützlinge für den DFB. Knapp über zehn Millionen TV-Zuschauer quälten sich zu Hause durch den RTL-Gewinnspiel-Fußball-Abend. Zeit-Online-Libero und Redakteur Christian Spiller ließ Jens Lehmann Jens Lehmann sein, machte den Fernseher gar nicht erst an, sondern reiste nach Dublin und bemerkte: „Es war einer dieser oft angestrebten, aber selten erreichten Zustände im Fußball: Zuschauer und Spieler schaukelten sich gegenseitig hoch.“ Irland gewann 1:0 (Twitter: „Shane macht die Deutschen long“) und Spiller riss sich rechtzeitig von den „Just can’t get enough“-Gesängen los und schrieb eine Analyse.

11. Money is not everything, möchte man die folgende Geschichte überschreiben. Die Partie der Norweger gegen Malta morgen nutzt Sara Peschke in der Neuen Zürcher Zeitung für einen Blick auf das „Jahrhundertalent“ Martin Odegaard. Der Junge ist immer noch sehr jung (16 Jahre alt) und immer noch bei Real Madrid. Sein Problem: Er gehört dort zu keinem der Teams richtig dazu. Trainieren darf er bei den Profis, spielen soll er bei der zweiten Mannschaft, mittlerweile darf er aber nichtmal in der Uefa Youth League ran. Jetzt wird er vielleicht verliehen.

Und nochmal 11. Eine herrliche Geschichte zum Abschluss noch aus Finnland: Keith Armstrong, englischer Trainer vom finnischen Erstligisten FC Ilves, hat einen soliden Job gemacht. Den Außenseiter hat er so gut wie sicher zum Klassenerhalt geführt. Zeit also für andere Aufgaben: Am vergangenen Sonntag erklärte er als TV-Experte im finnischen Fernsehen den Fußball statt seine Mannschaft zu coachen  – Jetzt darf er nur noch experten, aber nicht mehr trainieren. Der Verein hat ihn freigestellt. Entdeckt hat die Story der Guardian.

Und dann war da auch noch das hier:

(Die Tagesspiegel-Redaktion muss hier schmunzeln)

Geburtstagskind des Tages

Wer hat heute Geburtstag? Einfach in die Kommentare posten! (Auflösung von gestern: Sejad Salihović wurde 31)

Meist geklickter Link gestern
Die Nobelpreiswoche geht auch am Fokus-Fußball-Publikum nicht vorbei. Die herrliche Sammlung der Sportschau zu schreibenden Fußballprofis war gestern der Renner.

Field Reporter

»So lange aktive Fangruppierungen hübsch nach der Pfeife tanzen, sind diese gut genug den Kasperle zu spielen und hübsch für Stimmung zu sorgen. Werden bestimmte Grenzen überschritten, werden sogleich die Keulen aus dem Sack gezogen. Warum so dünnhäutig?«

Marco Bertram (Turus.net) kritisiert die zunehmende Gängelung der Fankurven durch Politiker, Verbände und, darauf zielt er ab, durch die eigenen Vereine. Kein neues Thema, doch gerade wieder vermehrt (Dortmund, Schalke, Burghausen, Rostock, Osnabrück, Münster, Stuttgarter Kickers) zu beobachten. Auch wenn der Text an manchen Stellen in Polemik ausartet, Bertram blickt für Zuschauer des Profifußballs in keine allzu rosige Zukunft.

Mixed Zone
Hamburg: Uwe Seeler macht sich Sorgen.  + + + Lionel Messi auf der Anklagebank (Tagesschau.de) + + + TV-Tipp, wenn bald wieder Fußball bei RTL läuft: Die TV-Doku „Union fürs Leben“. Sehenswerter Film über Eisern Union, derzeit wieder in der Mediathek. (ARD) + + + Doping in der Champions League: Arijan Ademi von Dinamo Zagreb hat betrogen. (Express.co.uk) + + +  Bremen: Der Fall Valentin und die Ermittlungen gegen den grünen Abgeordneten Wilko Zicht zeigen die Probleme der Justiz mit der Scheu vor Nazis (Jungle World)  + + + Am Wochenende findet der Fanrun des FC Bayern statt. Der Club Nr. 12 relativiert seine Kritik angesichts der neuen Erkentnisse, bleibt aber dabei: Fader Beigeschmack. (Facebookseite Club Nr. 12) + + + Die neue „When Saturday comes“ kommt mit einem Feature zur Flüchtlings-Willkommenskultur in deutschen Stadien (WSC) + + +

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