„Wir sind stolz auf unser Team aus XY“, so schallt es schon vielerorts durch die Fankurven. Vor allem nach großen Siegen. Seltener auch nach Niederlagen. Für den Kölner Anhang würde man vermuten, dass nur im Jubelfall die Mannschaft abgefeiert wird. Zu oft war Udo Latteks Fußballspruch des Jahres 2010 bittere Realität. Zu oft wurde eine Mannschaft des Effzeh im Misserfolgsfall in Grund und Boden gepfiffen – wenn nicht schon das halbe Stadion vorher die Flucht ergriffen hatte.
Thomas Reinscheid hat allerdings etwas erlebt in diesem Jahr, was dieses Vorurteil in seinen Grundfesten erschüttert. Sein Fußballerlebnis des Jahres 2013:
Anfang April war alles angerichtet: Der glorreiche 1. FC Köln, mein glorreicher FC, hatte rechtzeitig zum Duell beim direkten Kontrahenten Platz 3 übernommen. Den ersehnten Platz 3, der zur Relegation berechtigt. Durch einen Erfolg in fast letzter Sekunde über Regensburg, während der direkten Kontrahent gegen Sandhausen patzte und somit auch den letzten Vorsprung vor uns heranrückenden Geißböcken einbüßte.
Beste Vorzeichen also. Würde es nicht auf den ungeliebten Betzenberg gehen. In den letzten 20 Jahren gelang uns dort gefühlt ein Sieg. Und der wurde, aufgrund Verletzung der Matrix, direkt mit dem Abstieg bestraft. Doch mindestens 8.000 Kölner wagten die Tour in die Pfalz, um ihrem Team den Rücken zu stärken und sie bei der Mission „Rückkehr in Liga 1“ zu unterstützen.
Wie es die ganze Saison über der Fall war. Nach dem bitteren Abstieg hieß es am Geißbockheim, Aufräumarbeit zu leisten. Vorzeige-Trümmerfrau wurde Holger Stanislawski, der bereits mit dem FC St. Pauli in die erste Liga aufsteigen konnte. Das Team bildeten größtenteils junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs wie Timo Horn, Jonas Hector oder Christian Clemens. Die Fanszene versicherte in einem offenen Brief und bei einem Trainingsbesuch
Doch der Start verlief mehr als holprig – erst am siebten Spieltag gelang dem FC der erste Saisonsieg. Dennoch: Kaum Pfiffe, keine Forderungen nach „Funkel raus“, „Rettig raus“, „Stecker raus“ oder sonstigen Entlassungen. In Köln herrschte, gerade im Vergleich zu den Vorjahren, verhältnismäßige Ruhe. Die Anhänger hatten ebenso aus den Fehlern der Vergangenheit lernen müssen wie die neue Vereinsführung um Präsident Werner Spinner.
Das rechnete sich: In einer furiosen Aufholjagd kämpfte sich das – trotz der zwischenzeitlichen Verpflichtung des großen Stefan Maierhofers – immer noch junge Team ganz nah an den dritten Platz heran, der zur Relegation mit dem 16. der Bundesliga berechtigt. Und war in Kaiserslautern zum „Endspiel“ um den Relegationsplatz angekommen. Zwar sah das, was unsere rot-weißen Götter unten auf dem Rasen zauberten, häufig nicht nach Fußball aus und auch das Magengrummeln bezüglich etwaiger Erstligaeinsätze mit diesem Team war nicht von der Hand zu weisen, aber: Unseren Jungs gebührte Respekt. Sie gaben 1948% und damit schon einmal mehr als beispielsweise die „schönjeföhnten Fiffis“ in der Abstiegssaison.
In Kaiserslautern jedoch sollte, wie könnte es auch anders sein, der kölsche Fluch auf dem Betzenberg wieder zuschlagen. Nach 90 fußballerisch enttäuschenden Minuten hieß es 0:3. Aus FC-Sicht. Ohne Chance gingen unsere Geißböcke bei den Roten Teufeln baden, völlig überraschend traf der Herr mit der männlichen Körpersprache gleich doppelt. Platz 3 war also nach einer Woche wieder futsch, die Relegation schien in weite Ferne gerückt zu sein.
Und was machte der FC-Anhang, der sich angeblich nach zwei Siegen in der Champions League wähnt, aber nach zwei Niederlage zu Tode betrübt daherkommt? Er feierte. Sein Team. Dass an diesem Abend einen schlechten Tag erwischte, aber über die Saison hinweg charakterlich einen guten Eindruck gemacht hatte. Kaum ein FC-Fan verließ den Gästeblock, sondern spendete den Jungs, unseren Jungs, unten auf dem Rasen, Trost und Zuversicht. Noch Minuten nach dem Spiel hallten Anfeuerungen für die rot-weißen Götter, die am Betzenberg so unvollkommen menschlich wirkten, durch das Stadion.
Selten war ich in meinem Leben stolzer, Anhänger dieses glorreichen 1. FC Köln zu sein. Selten habe ich gespürt, was es bedeutet, wenn wir in unserer Vereinshymne singen: „Un mer jon met Dir wenn et sin muß durch et Füer“ (für die nicht-kölschen Leser: Und wir gehen mit dir, wenn es sein muss, durch das Feuer“) Selten habe ich selbst bei Ansicht der Bilder und meinen eher rudimentären Erinnerungen an dieses Spiel eine derartige Gänsehaut wie bei den Ereignissen in Kaiserslautern.
„Was wir an Support durch die Fans bekommen haben, da konnten wir einfach nicht Stand halten. Wir konnten mit unseren Fans nicht mithalten“, konstatierte auch Holger Stanislawski nach dem Spiel. Sogar Franco Foda, damaliger FCK-Trainer, war bass erstaunt ob der Unterstützung des FC durch seine Anhänger: „Mich haben heute drei Dinge beeindruckt: Meine Mannschaft, die Atmosphäre im Stadion und die Fans des Gegners. Wie die ihre Mannschaft trotz der Niederlage angefeuert haben, war überwältigend.“
Die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einst „Eine stolz getragene Niederlage ist auch ein Sieg“ – an diesem Abend in der Pfalz haben wir FC-Fans sicherlich einen kleinen Sieg davon getragen. Auch der DFB uns dafür keine Punkte geben wollte.
Pingback: Tor 24: Bescherung | Fokus Fussball