Im Champions-League-Spiel des FC Bayern in Rostov lief die 86. Minute, als sich eine Situation ereignete, die in regeltechnischer Hinsicht sehr viel mehr Brisanz barg, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte (zum Video der Szene geht es hier). Franck Ribéry flankte den Ball von der linken Seite in die Mitte des Strafraums, dort gingen Robert Lewandowski und sein Gegenspieler Cesar Navas im Torraum der Gastgeber zum Ball. Der Rostover Innenverteidiger klammerte und zog, der Münchner Stürmer ging zu Boden. Schiedsrichter Artur Soares Dias pfiff – und zeigte mit dem ausgestreckten rechten Arm auf den Elfmeterpunkt. Strafstoß für die Bayern also? Nein, denn nun hob der Referee plötzlich seinen linken Arm, um einen indirekten Freistoß zu signalisieren – wegen einer Abseitsstellung von Lewandowski, die ihm sein Assistent mit erhobener Fahne angezeigt hatte. Die Münchner protestierten kurz, aber die Aufregung hielt sich in Grenzen.
Dabei hätte es gute Gründe für sie gegeben, denn die Entscheidung des Unparteiischen war falsch. In der Regel 5 (Der Schiedsrichter) heißt es nämlich: »Der Schiedsrichter hat bei mehreren gleichzeitigen Vergehen das schwerste Vergehen hinsichtlich Sanktion, Spielfortsetzung, physischer Härte und taktischer Auswirkungen zu ahnden.« Ob diese gleichzeitigen Vergehen von einer Mannschaft oder von beiden Teams begangen werden, ist dabei unerheblich. In Rostov war es zu zwei gleichzeitigen Regelübertretungen gekommen: einer aktiven Abseitsstellung (indem Lewandowski sich im Zweikampf mit Cesar Navas um den Ball befand, beeinflusste er ihn) und einem Foulspiel (Cesar Navas hatte Lewandowski strafwürdig gehalten). Das schwerere Vergehen im Sinne der Regel 5 war dabei eindeutig das Foul.
Nun könnte man vermuten, dass gar keine Gleichzeitigkeit gegeben war, schließlich befand sich Lewandowski ja bereits im Moment des Abspiels durch Ribéry im Abseits, also deutlich vor dem Foul des Rostovers. Allerdings ist eine Abseitsstellung erst dann strafbar, wenn der betreffende Spieler auch tatsächlich aktiv am Spiel teilnimmt – beispielsweise, indem er den Ball spielt oder eben einen gegnerischen Akteur beeinflusst, indem er versucht, den Ball in seiner (und dessen) Nähe zu erreichen. Just in dem Moment, als das bei Lewandowski der Fall war, brachte ihn Cesar Navas jedoch zu Fall. Damit lag eine Gleichzeitigkeit der Vergehen vor. (Dass Lewandowski aus seiner Abseitsstellung gewissermaßen einen Vorteil zog, spielt hier keine Rolle.)
Die Frage ist, ob Artur Soares Dias lediglich eine falsche Tatsachenentscheidung getroffen oder ob er – was ungleich gravierender wäre – einen Regelverstoß begangen hat. Ein Regelverstoß liegt vor, wenn ein Schiedsrichter zwar einen Sachverhalt korrekt feststellt, darauf aber die Regeln falsch anwendet. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn er das Spiel wegen eines absichtlichen Handspiels im Strafraum unterbräche und es dann nicht mit einem Strafstoß, sondern mit einem indirekten Freistoß fortsetzte. In Rostov stellte das Team der Unparteiischen beide Vergehen richtig fest: die aktive Abseitsstellung von Lewandowski (erkennbar am Fahnenzeichen des Assistenten) und auch das Foul (erkennbar daran, dass der Referee auf die Strafstoßmarke deutete).
Es knüpfte daran jedoch die falsche Spielfortsetzung, denn Artur Soares Dias gab einen indirekten Freistoß für die Hausherren statt eines Elfmeters für die Gäste. Somit lag eigentlich ein Regelverstoß vor, wie auch Johannes Gründel auf wahretabelle.de und »The 3rd Team« auf seinem Blog ausführen. Der FC Bayern könnte also theoretisch einen Grund für einen Einspruch gegen die Spielwertung haben. Diesen wird es vermutlich nicht geben, aber nehmen wir einmal an, der deutsche Rekordmeister ginge wirklich so vor. Was geschähe dann? Würde die UEFA tatsächlich einen Regelverstoß feststellen? Käme es zu einer Wiederholung der Partie?
Nun, zunächst einmal würde der Schiedsrichter befragt werden, wie er zu seiner Entscheidung gekommen ist. Und hier wird es kompliziert. Denn er könnte versuchen, einen Wahrnehmungsfehler geltend zu machen – etwa, indem er aussagt, sein Assistent habe ihm mitgeteilt, Lewandowski habe bereits deutlich vor dem Foul von Cesar Navas aus seiner Abseitsstellung aktiv am Spiel teilgenommen. Oder indem er angibt, der Assistent habe ihn davon überzeugt, dass gar kein Foul des Rostover Verteidigers vorlag. Dass die Fernsehbilder beides nicht stützen, wäre dabei erst einmal zweitrangig. Denn maßgeblich wäre aller Wahrscheinlichkeit nach die Aussage des Unparteiischen. Wenn sich der Schiedsrichter also so äußern würde wie hier skizziert und die UFEA ihm glaubte, wäre der Regelverstoß vom Tisch, weil dann nur noch eine falsche Tatsachenentscheidung vorläge – und die bliebe ohne Konsequenzen. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Unparteiische angäbe, sich via Headset mit seinem Assistenten darauf geeinigt zu haben, dass Cesar Navas kein Foulspiel begangen hat.
Doch was wäre, wenn die UEFA tatsächlich einen Regelverstoß feststellen würde? Legt man zugrunde, wie sie nach dem Regelverstoß der Schiedsrichterin Marija Kurtes bei der Europameisterschaft der Frauen im April 2015 entschied, dann müsste sie eine Teilwiederholung der Partie des FC Bayern in Rostov anordnen – beginnend mit einem Strafstoß für die Münchner. Anschließend würden noch die verbleibenden vier Minuten der regulären Spielzeit und die vier Minuten Nachspielzeit ausgespielt, dann wäre schon wieder Feierabend. Doch dazu wird es, davon darf man wohl ausgehen, nicht kommen.
* * * * *
Update (25.11.16): DFB-Lehrwart Lutz Wagner hat sich wie folgt zu der Szene geäußert: »Da die Abseitsstellung von Lewandowski vor dem Halten war, ist auf Abseits zu entscheiden. Zeitgleich heißt zeitgleich. Die Vergehen müssen im gleichen Moment passieren. Abseits stand er bei Ballabgabe, strafbar wird es ab Eingreifen!« Das ist insoweit überraschend, als Wagner damit der Regelauslegung durch das IFAB widerspricht. Der DFB hatte im Juli, also kurz nach dem Inkrafttreten der Regelreform, ein Papier mit Antworten des IFAB auf verschiedene Regelfragen an die Schiedsrichter-Lehrwarte verschickt. In diesen Fragen ging es um strittige und unklare Punkte, die sich im Zuge der Reform aufgetan hatten. Frage 7 betraf dabei exakt die Spielsituation, die sich in Rostov zugetragen hat:
Ein Spieler steht im gegnerischen Strafraum in einer Abseitsposition. Kurz bevor der Flankenball ihn erreichen kann, wird er von einem Verteidiger umgerissen. Die Abseitsposition und das Haltevergehen ereignen sich also zeitgleich. — Antwort: Strafstoß, Verwarnung. Begründung: Grundsätzlich wird das Vergehen bestraft, das schwerer wiegt. Und das Halten (direkter Freistoß) wird schwerer bestraft als eine Abseitsposition (indirekter Freistoß), vor allen Dingen, wenn das Halten, bzw. die Art des Foulspiels eine Verwarnung erfordert.
Nicht zuletzt diese offizielle Information anhand eines konkreten Fallbeispiels bildete die Grundlage für die Einschätzungen von uns, von Johannes Gründel und von »The 3rd Team«. Warum Wagner die Szene in Rostov davon abweichend bewertet, werden wir zu klären versuchen.
Update (19.12.16): Lutz Wagner hat die behauptete Äußerung nicht getätigt, das entsprechende Zitat auf der Website »IG Schiedsrichter« (Screenshot zum Ursprungstext hier) war frei erfunden (Screenshot zu Wagners Erklärung hier) und entspricht auch nicht seiner Einschätzung zu der Situation in Rostov. Wir bitten für die Irritationen, die aus der Bezugnahme auf dieses Zitat durch uns entstanden sind, um Verzeihung.
Ich bin nicht ganz damit einverstanden, mit welcher Selbstverständlichkeit eine Gleichzeitigkeit der Vergehen konstatiert wird. Eine Abseitsstellung alleine ist natürlich nicht strafbar, allerdings ist es auch nicht notwendig mit der Abseitsentscheidung zu warten bis ein tatsächlicher Eingriff geschieht oder Ball konkret gespielt/berührt wird.
Dies soll Situationen wie bei einem früheren Confed-Cup vermeiden, wo der Abseits-Angreifer 60m Richtung Grundlinie dem Ball hinterher seppelt und ihn kurz vorm Toraus stoppt, um dann rechts neben sich die jetzt erst gehobene Fahne des SRA zu sehen (s. auch http://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/118958-Fussballregeln_2016_2017_WEB.PDF – S. 59, Punkt 1. der DFB-Erläuterungen).
Zum anderen ist bereits im Regeltext ein Eingriff im Sinne einer strafbaren Abseitsstellung gegeben, wenn ein Spieler seinen Gegner beeinflusst, in dem er „den Gegner angreift, um den Ball spielen zu können“ und/oder „eindeutig aktiv wird und so klarerweise die Möglichkeit des Gegners
beeinflusst, den Ball zu spielen“ (s.o., Seite 58).
Hier kann mE sowohl der eine als auch der andere Punkt berechtigt vom SR-Kollektiv angeführt werden um zu begründen, dass die Abseitsstellung vor und nicht gleichzeitig mit dem Foulspiel stattfand. Diese Auslegung ist mE zumindest soweit gerechtfertigt, dass nicht mehr von einem Regelverstoß gesprochen werden kann.
Spannend ist die Fragestellung aber allemal…
Na gut, aber um eine Situation, wie sie beim Confed-Cup oftmals zu beobachten war, handelte es sich hier ja nicht, insofern musste der Assistent schon warten. Außerdem muss man sagen, dass das Klammern und Ziehen gegen Lewandowski bereits begann, bevor es zum Zweikampf um den Ball kam. Als der Ball dann in der Nähe war, gab es den entscheidenden Stoß, während sich Lewandowski um den Ball bemühte. Gerade die Ballnähe, die ja ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Strafbarkeit einer Abseitsstellung ist, lässt für mich hier eher nicht den Schluss zu, dass das Abseitsvergehen vorgelagert war. Vielmehr dürfte das, was sich in Rostov zugetragen hat, geradezu für ein Paradebeispiel für Gleichzeitigkeit sein. Der DFB hat genau diese Situation auch in seinen Regelfragenkatalog aufgenommen, den er zumindest den Lehrwarten nach der Regelreform zukommen lassen hat. Da wurde die Frage mit »Strafstoß und Verwarnung« beantwortet, und es wurde explizit mit der Gleichzeitigkeit und der Ahndung des schwereren Vergehens argumentiert.
Das habe ich in meinem Kommentar nicht so direkt geschrieben, aber klar: Man kann hier auch ohne Probleme auf „Gleichzeitig, Strafstoß, (Verwarnung)“ entscheiden und das wäre wohl vermutlich sogar richtig(er). Der SR kann hier aber mehr oder weniger problemlos eine Entscheidung argumentieren, die zumindest soweit „ausreicht“, dass es keinen zu ahndenden Regelverstoß hat, sondern „nur“ noch eine „normal falsche“ Entscheidung.
„[…] schon weil man davon ausgehen könnte, dass die UEFA alles versuchen würde, um die Konsequenzen aus dem Regelverstoß eines ihrer Elite-Referees zu vermeiden.“
Allein diese Vermutung kann einem eigentlich nicht gefallen. Zumal in diesem Fall ein Tor mehr oder weniger nicht unerhebliche Beeinflussung auf das gesamte Turnier ausüben könnte (Gruppensieg FCB und damit anderer Turnierverlauf).
Was würde denn das hypothetische „Hinbiegen“ der UEFA bedeuten? In dem Fall das Aufweichen der sinnvollen Trennung zwischen (falscher) Tatsachenentscheidung und Regelverstoß. Der Preis ist aus meiner Sicht zu Hoch für den Schutz eines „Elite-Referees“ bzw Teams.
Das ist ein Problem, dass mit der Definition was aktives und was passives Abseits ist, von den Regelhütern bewusst in Kauf genommen wurde.
Über Sinn und Unsinn dieser Definition, die ja scheinbar das Ziel hat die Angreifende Mannschaft zu bevorzugen und mehr Tor(chancen) zu erzeugen habt ihr ja schon oft gesprochen.
Die Realität zeigt aber, dass diese Definition einfach nicht passt.
Um sich Regelkonform zu verhalten hätte Navas erkennen müssen, dass Lewandowski im Abseits ist und ihn bewusst nicht attackieren müssen. Wäre Lewandowski zum Ball gegangen, wäre das ja dann aktives Abseits gewesen.
Dass kann man doch unmöglich von einem Spieler verlangen.
Sowas wie passives Abseits gibt es aus meiner Sicht nicht. Jeder Spieler auf dem Platz reagiert immer auf jeden anderen Spieler. Folglich kann man gar nicht passiv im Sinne von „ich übe keinen Einfluss auf das Spiel aus“ sein.
Aber selbst nach aktueller Definition gehe ich mit Klaus‘ Meinung, dass Lewandowski aktiv im Sinne von „eindeutig versucht, den Ball in seiner Nähe zu spielen, wenn diese Aktion einen Gegner beeinflusst“ oder „eindeutig aktiv wird und so klarerweise die Möglichkeit des Gegners beeinflusst, den Ball zu spielen“
Lewandowski macht ihr eindeutig eine „Angreifertypische“ Bewegung um den Ball zu spielen – in dem er in die Flanke läuft – und wird „erst“ dabei von Navas gefoult. Die Aktion Lewandowskis beginnt also vor der Aktion von Navas, daher finden beide Aktionen nicht gleichzeitig statt und die oben genannte Regel kann gar nicht greifen.
Ich denke Lewandowski hätte sich gänzlich unbeteilgt verhalten müssen (eben nicht in die Flanke laufen) um passiv im Sinne der Regel sein zu müssen.
Aber in jedem Fall sehr spannendes Thema.
Der DFB hat an die Lehrwarte nach der Regelreform einige Regelfragen geschickt, um die eine oder andere Änderung deutlich zu machen. In einer davon hieß es:
»Ein Spieler steht im gegnerischen Strafraum in einer Abseitsposition. Kurz bevor der Flankenball ihn erreichen kann, wird er von einem Verteidiger umgerissen. Die Abseitsposition und das Haltevergehen ereignen sich also zeitgleich. — Antwort: Strafstoß, Verwarnung. Begründung: Grundsätzlich wird das Vergehen bestraft, das schwerer wiegt. Und das Halten (direkter Freistoß) wird schwerer bestraft als eine Abseitsposition (indirekter Freistoß), vor allen Dingen, wenn das Halten, bzw. die Art des Foulspiels eine Verwarnung erfordert.«
Aus meiner Sicht ist das exakt das, was gestern Abend geschehen ist. Abgesehen davon begann das Halten bereits, als der Ball noch unterwegs war. Deshalb sehe ich hier keinen Spielraum, um darauf zu entscheiden, dass der Abseitseingriff vorgelagert war.
Es gibt sehr wohl passives Abseits. An jedem Spieltag! Es gibt doch häufig die Situation, dass Angreifer – für alle sichtbar – weit hinter dem verletzen Abwehrspieler stehen, ein Pass in Richtung Spitze gespielt wird und ein anderer Stürmer mit dem vorletzten Abwehrspieler in den Sprint geht. Nicht selten bleibt der erste Stürmer dann bewusst teilnahmslos stehen oder geht den beiden anderen um den Ball sprintenten Spielern aus dem Weg. Dieses Verhalten ist mittlerweile auch unter den Abwehrspielern allgemein bekannt. Selbst aus den Kreisligen kennt man das.
In den Kreisligen hat das aber oft andere Gründe wie z.B. ein Fehlen von Spielverständnis (Hä, der Pass war für mich?) oder Kondition.
Schlimmstenfalls beides.
Allerschlimmstenfall von Beginn an.
Auf jeden Fall ein spannendes Thema.
Ich bin trotz der Regelfrage, die genau diese Situation beschreibt, nicht ganz einverstanden mit dem Begriff „Gleichzeitigkeit“.
Lewandowski steht zum Zeitpunkt der Ballabgabe im Abseits. Diese Abseitsstellung wird erst dann strafbar, wenn ein Kriterium aus Regel 11 für strafbares Abseits erfüllt wird. Das kennen wir ja.
Es wird aber dennoch die Abseitsstellung zum Zeitpunkt der Ballabgabe bestraft, die wenige Sekunden vor dem Foul vorlag, obgleich sie erst später strafbar wird und auch der Ort der Spielfortsetzung ein anderer ist. Somit liegt für mein Verständnis keine „Gleichzeitigkeit“ vor.
Ich stimme dapauli zu: Die interessante Frage ist m.E. in der Tat, ob die Abseitsstellung im Prinzip das Vergehen ist, aber nur unter bestimmten Bestimmungen („aktiv“) bestraft wird, oder ob erst das Eingreifen aus Abseitsposition das Vergehen darstellt.
Aus der Regelfrage des DFB wird klar, dass sie hier Letzteres zugrunde legen. Wenn das aber so ist, warum wird der indirekte Freistoß dann dort ausgeführt, wo der Spieler Abseits stand? Prinzipiell würde man ja doch sagen, das müsse am Ort des Vergehens stattfinden. Für mich eine Inkonsistenz.
Der indirekte Freistoß wird seit der Regelreform nicht mehr am Ort der ursprünglichen Abseitsstellung ausgeführt, sondern am Ort der aktiven Teilnahme am Spiel, also des Eingriffs. Insofern ist das nun auch konsistent.
Ah, danke, das ist an mir vorbeigegangen. Dann bin ich sehr einverstanden mit der Auslegung des DFB.
Vielleicht hab ich ein ganz dickes Brett vorm Kopf. Ich bin jedenfalls nicht in der Lage, den Regeltext zu verstehen.
“ Ein Spieler wird nur dann für seine Abseitsstellung bestraft, wenn…“ bedeutet für mich, dass es sich bei dem Vergehen um die Abseitsstellung handelt. Was dann folgt, also die aktive Teilnahme am Spiel, ist lediglich die Bedingung dafür, dass das Abseits ein Vergehen ist. Da es später heißt, dass sich der Ort des Vergehens auch in der eigenen Hälfte nefinden kann, muss aber doch irgend etwas anderes das Vergehen sein.
Völliger Unsinn ist dann aber der Konditionalssatz, in dem die Bedingungen für die Strafbarkeit formuliert werden. Laut dem Regeltext soll es auschlaggebend sein, dass ein Spieler „zum
Zeitpunkt, zu dem der Ball von einem Mitspieler gespielt oder berührt wird,
aktiv am Spiel teilnimmt…“ Wie kann denn das möglich sein? Wie soll ein Spieler in dem Moment, in dem sein Mitspieler den Ball berührt, selbst z.B. durch Berühren des Balls aktiv teilnehmen. Oder zum Zeitpunkt des Schusses, der den Pfosten treffen wird, schon den abprallende Ball berühren.
Ich dachte, der Zeitpunkt der Ballberührung vom Mitspieler sei relevant für die Abseitsstellung, aber doch nicht für die aktive Teilnahme am Spiel.
Wenn man dem IFAB-Papier folgt, müsste in der Regel doch sinngemäß stehen: Die aktive Teilnahme am Spiel ist strafbar, wenn der Spieler zum Zeitpunkt der Ballberührung vom Mitspieler im Abseits stand. Stattdessen steht da, dass Abseits strafbar ist, wenn der Spieler zum Zeitpunkt der Ballberührung vom Mitspieler aktiv am Spiel teilnimmt. Ist das nicht Nonsens?
Die deutsche Übersetzung ist da wirklich missverständlich und auch ein bisschen kurios. Auf Englisch wird es klarer: »A player in an offside position at the moment the ball is played or touched by a team-mate is only penalised on becoming involved in active play by […]«
Das finde ich aber wirklich sehr erstaunlich. Wenn ich das trotz meiner limitierten Englisch-Kenntnisse richtig verstehe, wird die Regel in der deutschen Fassung schlicht falsch widergegeben.
Vielleicht liegt es ja auch an Übersetzungsproblemen, dass diese Antwort auf Frage 7 in der Welt ist. The 3rd Team bezieht sich ja auch auf den deutschen Text. Die Frage ist dort auch sehr unklar formuliert. Aus der Schilderung des Falls geht nicht hervor, ob ein Haltevergehen schon zum Zeitpunkt des Flankeschlagens vorlag. Das wird erst am Ende behauptet, mit „also“, als ließe sich das erschließen. Wenn aber das Umreißen stattfand, während der Ball in der Luft war- und so versteh ich den Fall-, dann kann das nicht zeitgleich mit der strafbaren Abseitsposition stattgefunden haben. Die Position zum Zeitpunkt des Umreißens ist irrelevant fürs Abseits. Die Abseitsposition war, als der Flankengeber die Flanke schlug.
In der Frage heißt es: »Kurz bevor der Flankenball ihn erreichen kann, wird er von einem Verteidiger umgerissen. Die Abseitsposition und das Haltevergehen ereignen sich also zeitgleich.« Mit dem ersten Satz wird deutlich gemacht, dass ein Zweikampf stattfindet, während der Ball in der Nähe ist. Statt »Abseitsposition« müsste es im zweiten Satz allerdings »Eingriff aus dem Abseits« (oder noch genauer: »Beeinflussung des Gegenspielers aus einer Abseitsposition heraus«) heißen. Dass das gemeint ist, geht aber schon aus der Verwendung des Wortes »also« hervor. Hier liegt kein Übersetzungsfehler vor, das ist nur in der Eile etwas unsauber formuliert worden (wurde seinerzeit auch mit dem DFB so geklärt).
Ja, der Fehler in der Formulierung deckt sich allerdings mit dem im deutschen Regeltext. Und schon ärgerlich, dass man -Eile hin, Eile her- gerade dann, wenn es um den entscheidenden Zeitpunkt geht, den Zeitpunkt der Abseitsposition mit dem des Spieleingriffs verwechselt.
Die Abweichung zwischen der IFAB-Antwort und der von Lutz Wagner ist einfach zu (er)klären: In der (theoretischen) Regelfrage ist klar gesagt, dass die Vergehen gleichzeitig stattfinden. Wir müssen also nicht entscheiden ob eine Gleichzeitigkeit vorliegt, denn das ist durch die Regelfrage gegeben. Aus dieser Konstellation ergibt sich dann auch (zwingend) die Antwort, dass Strafstoß die richtige Entscheidung in dieser Regelfrage wäre.
In der Situation in Rostov gibt es aber eben NICHT diese Vorgabe/Klärung bzgl. der Gleichzeitigkeit. Wir müssen als SR also zunächst entscheiden, *OB* zwei gleichzeitige Vergehen vorliegen und danach das Regelwerk anwenden. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen beiden Situationen.
Es gibt also keinen Widerspruch, denn in der einen Situation (IFAB) ist die Gleichzeitigkeit vorgegeben, in der anderen (Rostov) muss sie erst noch entschieden werden. Während sich in der ersten Situation die Entscheidung „Strafstoß“ aus der Vorgabe ergibt, ist in zweiterer Situation entscheidend, ob der SR eine Gleichzeitigkeit der Vergehen erkennt – oder eben nicht – und dann entsprechend die Regeln anwendet.
Klaus, die Regelfrage beschreibt doch exakt die Situation in Rostov: »Ein Spieler steht im gegnerischen Strafraum in einer Abseitsposition. Kurz bevor der Flankenball ihn erreichen kann, wird er von einem Verteidiger umgerissen.« Genau das ist passiert, also wird man auch in diesem konkreten Fall von einer Gleichzeitigkeit ausgehen. Und deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, wenn Wagner plötzlich argumentiert: »Da die Abseitsstellung von Lewandowski vor dem Halten war, ist auf Abseits zu entscheiden. Zeitgleich heißt zeitgleich. Die Vergehen müssen im gleichen Moment passieren. Abseits stand er bei Ballabgabe, strafbar wird es ab Eingreifen!« Natürlich lag die Abseitsstellung vor dem Foul, das ist aber in der Regelfrage auch so. Und das ahndungswürdige Vergehen war eben nicht diese Abseitsstellung, sondern der Eingriff, der darin bestand, dass Lewandowski mit seinem Gegenspieler einen Zweikampf führte, als der Ball in der Nähe war. Just im Augenblick dieses Eingriffs – also gleichzeitig – wurde er aber gefoult. Genau wie es in der Frage steht.
Der Knackpunkt ist doch, das wir unterschiedlicher Auffassung sind, ob beide Vergehen gleichzeitig passieren. Du sagst „Ja“ – weil die Abseitsstellung strafbar wurde als „Lewandowski mit seinem Gegenspieler einen Zweikampf führte, als der Ball in der Nähe war“. Ich sage „Nein“, weil Lewandowski schon früher eingreift, weil er “den Gegner angreift, um den Ball spielen zu können” bzw. “eindeutig aktiv wird und so klarerweise die Möglichkeit des Gegners beeinflusst, den Ball zu spielen”.
Lewandowski greift also meiner Sicht (und vermutlich der von Wagner) nach eben deutlich früher ein, wird vor dem Foul aktiv und damit strafbar und damit liegt keine Gleichzeitigkeit mehr vor. Das ist genau der wunderbare Unterschied zwischen Regelfragen und Praxis. In der Theorie ist die Situation klar vorgegeben und per Definition der Fragestellung finden die Vergehen gleichzeitig statt. In der Praxis ist das – siehe diese Diskussion – offenbar nicht mehr ganz so einfach
Deswegen steht in Regelfragen ja auch immer „unsportliches Handspiel“ wenn eine Verwarnung gefordert ist oder „verhindert mit dem Foul eine klare Torchance“ – Damit überlässt man die Antwort eben nicht der Fantasie des SR sondern gibt eine klare Situation vor. Auf dem Platz muss der SR dann immer noch selbst entscheiden, ob nun eine Torchance verhindert wurde oder das Handspiel unsportlich war.
Theoretisch verstehe ich deinen Einwand ja. Nur: Worin soll der zeitlich früher gelagerte Eingriff von Lewandowski bestanden haben? Der Ball muss dazu ja in der Nähe sein, aber just, als er das war, kam das Foul. Aus meiner Sicht ist das geradezu ein Bilderbuchbeispiel für die Gleichzeitigkeit, wie sie in der Frage 7 beispielhaft dargestellt wird.
Ich denke, man könnte argumentieren, dass Lewandowskis vorgelagerter Eingriff darin bestand, dass er seinen Gegenspieler beeinflusst hat, indem er eindeutig versucht hat, an den Ball zu kommen. Das Halten war die Folge. Ich finde zwar nicht, dass das diese Szene richtig beschreibt, weil das Halten ja schon losging, als der Ball noch nicht wirklich in der Nähe war, aber es könnte die Wahrnehmung des Schiris gewesen sein.
Lutz Wagner sagt wiederum was ganz anderes. .
Hallo.
Gilt die Regelung mit der Gleichzeitigkeit denn auch, wenn zwei verschiede Spieler einer Mannschaft involviert sind?
Ich habe eine Szene aus dem Spiel Hertha gegen den Köln so wahrgenommen – ungefähr Mitte/Ende erste Halbzeit. (Wenn mich meine Wahrnehmung getäuscht hat, dann als fiktive Situation):
Steilpass vom Kölner Osako(?) auf Modeste, der im Abseits steht.
Beim Pass wird Osako gefoult, SRA zeigt Foul an, SR gibt Vorteil.
Angenommen, der SRA hat tatsächlich beide Vergehen gesehen:
Kann aufgrund der Gleichzeitigkeit der Vergehen ein Vorteil eine Abseitsposition „ausstechen“?
Die Regelung gilt unabhängig davon, ob es sich um gleichzeitige Vergehen von einer Mannschaft oder von beiden Teams handelt oder ob verschiedene Spieler involviert sind. In deinem Beispiel ist es allerdings so, dass Modeste sich zwar im Abseits befindet, im Moment des Abspiels (und des Fouls) aber noch nicht klar ist, ob er auch eingreift. Insofern geht das Foul einem möglichen Eingriff aus dem Abseits voraus. Wenn ich da als Schiedsrichter abwarte, ob (!) sich ein Vorteil ergibt, und innerhalb weniger Sekunden eine strafbare Abeitsstellung zustande kommt, ahnde ich doch noch das Foulspiel.
Da Modeste schon vor dem Pass in Richtung Tor gestartet war, hatte ich es als gleichzeitige Vergehen bewertet. Im Sinne von: Der Lauf (als Eingreifen) wird mit dem Pass strafbar, wenn dann eine Abseitsposition vorliegt.
In besagter Szene wurde das Foul nicht doch noch gepfiffen, aber vielleicht habe ja nur ich da eine Abseitsposition gesehen…
Danke für die Antwort.
Gehe da voll mit Klaus einher. Das ist ja auch das, was ich oben beschrieb.
Spaßig, dass die Regelfragen als inoffizielles Regelwerk herhalten müssen wenn die Regeln unklar formuliert/übersetzt sind.
Wird wohl darauf hinauslaufen, dass du Recht hast Alex und die DFB Regeln da als Maßstab nix taugen.
Wie würdest du den, als Fußballer und nicht als Schiedsrichter, diese Regel bewerten? Findest du sie gut?
Mit dem massiven Vorteil für die Angreifer?
Ich verstehe auch nicht, warum nicht Trainer diesen Regelvorteil viel stärker taktisch ausnutzen. Ich würde permanent passive Spieler in die Abseitszone laufen lassen um die Abwehr durcheinander zu bringen. Die können da ja scheinbar alles machen solange sie nicht unmittelbar vor der Ballannahme stehen oder den Torwart behindern.
Regeln bedürfen ja immer einer Auslegung, und nicht jeder konkrete Fall kann im Regelwerk dargelegt werden (manchmal tauchen auch Fragen auf, die vorher einfach niemand auf dem Schirm hatte – als Beispiel sei hier nur der Strafstoß genannt, der mit dem Rücken zum Tor und der Ferse ausgeführt wird). Insofern ist es nichts Ungewöhnliches, dass das IFAB, die FIFA, die UEFA oder der DFB von Zeit zu Zeit Klarstellungen anhand von Fallbeispielen verfassen. Diese Fallbeispiele können als Regelfragen formuliert sein oder einfach als Darstellung von Spielsituationen. Ein Problem ist dabei leider häufig, dass sie die Öffentlichkeit nicht erreichen.
Ich finde an den Regeln manches schwierig, nicht nur als Fußballfan, sondern auch und gerade als Schiedsrichter, der mit der einen oder anderen Regelauslegung in die Bredouille gebracht wird. Hier ist es außerdem so, dass der im Abseits stehende Lewandowski gar keine reguläre Möglichkeit gehabt hätte, den Ball aufs Tor zu bringen, es für das gleichzeitig mit seinem Eingriff stattfindende Foul des Verteidigers aber einen Strafstoß hätte geben müssen. Das finde ich mindestens unglücklich.
Ich möchte an der Stelle einfach mal ein Kompliment ausbringen.
Zunächst mal an Alex, der eine sehr, sehr interessante Frage aufgeworfen hat, wo ich genau gar nichts gesehen habe.
Und dann vor allem an die Kommentatorenschaft. Mir flogen sofort eine Vielzahl an Entgegnungen durch den Kopf. Alle sind aber in der Kommentarspalte bereits aufgegriffen worden. In einer – gerade für das so kontroverse Thema Schiedsrichterentscheidungen – unfassbar gesitteten Atmosphäre. Da hat sich jemand auf seiner Website eine schöne Diskussionskultur erarbeitet. Muss man ja auch mal außerhalb der Reihe konstatieren dürfen.
Trotzdem hinterlässt mich das mit Bauchgrimmen. Ich möchte, dass solche grundsätzlichen Fragen in den Regeln und ihren „amtlichen“ Auslegungen geklärt sind. Allein, dass diese Diskussion hier existiert, zeigt, dass ein wichtiges Problem existiert.
Und, um nun doch eine Meinung zu äußern: Ich möchte das diese Auslegung lautet, dass keine Gleichzeitigkeit vorliegt.
Zum einen interpretiere ich die Regel so. Der im sogenannten passiven Abseits befindliche Spieler wird zwar nicht bestraft, er begeht aus meiner Sicht trotzdem eine Regelwidrigkeit. Anders lässt sich doch nicht begründen, dass ihm in dieser Position ohne jede weitere Handlung untersagt ist, aktiv am Spielgeschehen teilzunehmen. Bestraft wird er dafür, wenn er in dieser Position den Ball spielt. Ball spielen ist aber nicht strafbar.
Zum anderen ist dies einfach das Ergebnis, dass ich haben möchte. Das muss ich zugeben. Natürlich könnte man auch so argumentieren, dass in Abseitsposition stehen an sich erst einmal kein Vergehen ist und erst der aktive Eingriff in Abseitsposition das Vergehen ausmacht. So, wie es kein Vergehen ist, den Ball weg zu schlagen – außer, das Spiel ist unterbrochen. Und diese Auslegung hat natürlich die Intention des Regelgebers auf seiner Seite. Der in Abseitsposition befindliche Spieler soll gerade dadurch, dass er später – wenn sich die Abseitslinie hinter ihn verlagert hat – aus seiner vorherigen passiven Rolle in Abseitsposition einen Vorteil ziehen können.
Insofern hätte ich da gerne eine Klarstellung der Regeln. Kann man ja machen: „Es gilt bei Gleichzeitigkeit der Vergehen das Primat der schweren Sanktion. Wenn aber eines der Vergehen eine Abseitsposition ist, dann kann aus dem anderen Vergehen zwar eine persönliche Strafe erwachsen, nicht jedoch eine Spielstrafe“ (sagt man das so?). Die Relativierung nur, damit deswegen kein brutales Foul ungesühnt bleibt.
Denn ich finde, an einem Spieler in Abseitsposition sollte man keinen Strafstoß (und auch keinen Freistoß) verüben können. Und für diese Geschmacksentscheidung brauche ich auch keine systematische Herleitung aus dem restlichen Regelwerk. Ich will es einfach nicht. Es erscheint mir absurd. Und da es immer noch ein Spiel ist, ist das für einen souveränen Regelgeber als Begründung auch völlig ausreichend.
Aber zweifelsfrei geregelt werden, dass muss es.
Weil es hier um Regelverstöße geht, hätte ich mit etwas Verspätung eine Frage zur Club-WM mit dem videobeweis. Der Fall ging durch die Zeitungen.
Real schießt durch Ronaldo ein Tor, SR verweigert wg Abseits die Anerkennung. Laut sid setzt er das Spiel fort, ehe er es unterbricht. Nach langem Hin und Her gibt er den Treffer.
Meine Frage. Ist der Videobeweis noch möglich, wenn die Partie erkennbar fortgesetzt wurde? Wenn ja, wie lange danach.
Zum genauen Ablauf: Nachdem Ronaldo das Tor erzielt hatte, gab es ein Gespräch zwischen dem Schiedsrichter und den Video-Assistenten (über das Headset des Schiedsrichters). Am Ende hob der Referee einen Arm, um einen indirekten Freistoß wegen Abseits anzuzeigen. Dieser Freistoß wurde blitzschnell ausgeführt – mit Zustimmung des Unparteiischen, muss man sagen. Denn er machte zunächst keine Einwände geltend und folgte dem Spielverlauf. Dann aber, nach zwei bis drei Sekunden, unterbrach er die Partie plötzlich noch einmal – und gab das Tor schließlich doch. Da das Spiel mit seiner Zustimmung bereits fortgesetzt wurde, war das eigentlich nicht mehr möglich.
Auf der Seite der Kollegen von »The 3rd Team« schreibt Niclas, einer der Betreiber, dazu in der Kommentarspalte: »I believe it is acceptable as long as the decision made by the referee resulted from an error in communication, e.g. the referee understood OFFSIDE via micro but did not hear the NO in front of OFFSIDE = NO OFFSIDE. In this case, the decision based on facts would change as the facts were wrongly understood by the referee, I think.« Das ist zumindest ein erwägenswertes Argument, das man gegen die Ansicht, dass hier ein Regelverstoß begangen wurde, ins Feld führen könnte.