Der „Fall Pezzoni“ – Chronologie, Blog- & Presseschau

Die „Causa Pezzoni“ macht Schlagzeilen in der Presse und in den Blogs.  Bei der Lektüre wird klar, dass die Autoren zum Teil sehr unterschiedliche Lehren aus diesem Fall ziehen. Zunächst eine Chronologie der Ereignisse:

Am 27.August verliert der 1.FC Köln bei Erzgebirge Aue 2:0. Kevin Pezzoni stand in der Startelf, wurde allerdings bereits nach 34 Minuten ausgewechselt. Am 28.August sagt FC-Trainer Stanislawski bei einer Pressekonferenz:

„Kevin wird in Richtung Schlachtbank geführt. Das werde ich nicht tolerieren! Wir werden jetzt keinen Sündenbock suchen, sondern das als ganze Mannschaft tragen. Wir gewinnen und wir verlieren zusammen.“

Drei Tage später verkündete der FC auf seiner Homepage, dass der Vertrag mit dem 23-jährigen Abwehrspieler aufgelöst wurde. Transfermanager Jörg Jakobs wurde mit diesen Worten zitiert:

„Wir haben mit Kevin Pezzoni in den vergangenen Tagen intensive persönliche Gespräche geführt. Ich bin zufrieden, dass wir eine Lösung im besten gegenseitigen Einvernehmen gefunden haben.“

Am selben Abend, nachdem die Kölner ihr Heimspiel gegen Energie Cottbus verloren hatten, äußerte sich Trainer Holger Stanislawski auf der Pressekonferenz erstmals zu den Hintergründen. Die Pressekonferenz kann bei KStA.tv angesehen werden. Pezzoni sei unter anderem vor seiner Privatwohnung von Personen bedroht worden.

Am Samstag wurde auf der Homepage des Vereins ein „Offener Brief an die Fans und Mitglieder des 1.FC Köln“ veröffentlicht. Darin heißt es:

Wenn wir als Spieler und als Mannschaft unsere Leistung nicht bringen, nehmen wir die Kritik der Medien und der Fans an. Das ist in Ordnung. Wir alle kennen unsere Rolle und unsere Verantwortung. Doch wir lassen als Mannschaft nicht zu, dass einzelne Spieler von einzelnen Chaoten gedemütigt und persönlich angegangen werden. Wir erwarten Fairness und Respekt im Umgang mit jedem einzelnen Spieler. Darauf hat auch die Presse durch die Art ihrer Berichterstattung Einfluss.

Ebenfalls am Samstag wurden Hintergründe zum Vorgehen des FC auf der Vereinshomepage veröffentlicht. Der Verein habe sich für die Löschung einer Facebook-Seite eingesetzt, die dazu aufrief „Pezzoni aufzumischen“. Dazu sei die Polizei informiert worden, die im Wohngebiet vermehrt Streife gefahren ist. Weiterhin heißt es:

Zwei Tage vor der beidseitigen Vertragsauflösung hat Kevin Pezzoni den Verein über Vorgänge in seinem persönlichen Umfeld informiert. Mit der Vertragsauflösung haben wir seiner ausdrücklichen Bitte entsprochen. Der FC hat diesen sehr persönlichen Wunsch respektiert, obwohl das Trainerteam und die sportliche Führung weiter mit ihm im Kader geplant hatten. Es war eine sehr bewusste Entscheidung, über diese sehr persönlichen Gründe nicht in einer nüchternen Pressemitteilung mit weiteren Personalien am Freitag, 31. August 2012, öffentlich Auskunft zu geben. Trainer Holger Stanislawski hat dies im Rahmen der Spieltagspressekonferenz am Abend dann getan.

Präsident Werner Spinner: „Unsere FC-Fans stehen hinter unseren Spielern und dem gesamten Team. Wir haben in den Stadien großartige Szenen zwischen Fans und Mannschaft erlebt, selbst wenn der sportliche Erfolg ausgeblieben ist. Während der ersten Spieltage der 1. und 2. Bundesliga sowie in der 3. Liga hat es zahlreiche Ausschreitungen gegeben, keine einzige unter Beteiligung von Kölner Fans. Für diese Entwicklungen sind wir sehr dankbar. Denn sie zeigen, dass unsere Strategie des Dialogs erste Früchte trägt und wir werden daran festhalten. Vorfälle, wie wir sie jetzt leider im Umfeld des Fußballs diskutieren, sind das Werk einiger weniger Störer und Chaoten, die mit ihrem Verhalten den gesamten Verein und seine Fans in Verruf bringen. Das werden wird nicht dulden und derartige Täter – wie schon in der Vergangenheit – konsequent aussperren. Sie erhalten Stadionverbote, werden aus dem Verein ausgeschlossen – sofern sie Mitglieder sind – und der FC wird eng mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, um auch strafrechtlich gegen sie vorzugehen. Für uns ist es ein ehernes Gesetz, dass der FC sich mit allen Möglichkeiten und Mitteln für seine Spieler und für seine weiteren Mitarbeiter einsetzt. Das sollte niemand in Frage stellen.“

Auf der Facebook-Seite von Kevin Pezzoni wurde am Sonntag folgender Text veröffentlicht:

„Es freut mich, hier zu lesen, wie viel Verständnis für unsere Entscheidung entgegengebracht wird. Und wie viel Unverständnis wir gemeinsam gegenüber Mobbing, Beleidigungen, Gewalt & Co. haben. Dies hat weder auf oder neben dem Platz, noch im privaten Umfeld etwas zu suchen. Die positiven, aufmunternden Rückmeldungen bleiben mir mit vielen schönen und erfolgreichen Spielen mit dem FC in Erinnerung.“

Dem „kicker“ sagte Claus Horstmann, der Vorsitzende der Geschäftsführung des 1.FC Köln:

„Dass das nicht die Standardlösung ist, darüber muss man nicht diskutieren. Aber wir haben im Sinne von Kevin entschieden. Vielleicht wissen wir nicht alles.“

„Das haben wir intern diskutiert, aber Kevin hat gesagt, er könne nicht einmal mehr ins Stadion kommen. Wir mussten in diesem Einzelfall so entscheiden.“

Die schnelle Trennung wurde laut „kicker“ auch „durch die neuen Transferregeln forciert. Seit dieser Saison können Spieler nach Ende der Tranferperiode verpflichtet werden, wenn sie zum 31.8. vertragslos waren. Bislang galt dies nur für Spieler, die zum 1.7. vereinslos waren.“

Präsident Spinner wird bei ksta.de wie folgt zitiert:

„Wer nun schnell mit dem Finger auf Köln zeigt, wird der Sache nicht gerecht. Der Druck im Profifußball ist sehr groß. Das ist kein Kölner Thema, sondern Ausdruck einer Tendenz im Profifußball insgesamt“

Horstmann und Spinner reagierten mit ihren Worten auf Kritik, die schon am Wochenende laut geworden war. Tim Röhn wertete so bei „Welt Online“ die Auflösung des Vertrages als „fatales Zeichen an die Chaoten“.

Es ist nicht bekannt, ob und wie sehr die Kölner Bosse in Gesprächen mit dem Spieler versucht haben, diesen Schritt zu verhindern. Es hätte jedenfalls nie dazu kommen dürfen. Der Klub hätte eine Pressekonferenz einberufen können und sich klipp und klar zu Pezzoni bekennen können. Er hätte einen Sicherheitsdienst damit beauftragen können, den Spieler zu schützen. Er hätte beim Spiel am Freitag gegen Cottbus über die Lautsprecheranlage dazu aufrufen können, die Täter ausfindig zu machen. Er hätte dem Spieler das Gefühl geben können, nein müssen: Wir stehen hinter dir und kämpfen für dich. Nichts davon ist geschehen.

Jochen Hilgers stößt im „WDR 2 Klartext“ ins selbe Horn:

Der Vorstand des 1. FC Köln um Präsident Werner Spinner ist erst wenige Monate im Amt. Trotzdem hat er jetzt schon die Note sechs, setzen verdient. […] Was der FC dagegen getan hat, lässt sich in seiner ganzen Dimension und seinen Auswirkungen für die Zukunft nicht einmal erahnen. Es ist die totale Resignation vor der Gewalt. […] Der Verein hat sich erpressbar gemacht und damit dem bezahlten Fußball ein denkbar schlechtes Beispiel gegeben.

Karlheinz Wagner fragt im „Kölner Stadtanzeiger„: „Das richtige Zeichen?“ und wundert sich über die Kritik an den Medien in Äußerungen des Trainers und im Offenen Brief der FC-Spieler auf der Homepage des Vereins:

„Darauf hat auch die Presse durch die Art ihrer Berichterstattung Einfluss. Wir erwarten, dass Berufliches und Privates getrennt bleiben.“ – gab es das? Nein. Wen oder was also meinen die Spieler?

Wolfgang Hettfleisch („Frankfurter Rundschau„) hingegen kann diese Kritik an der Presse gut nachvollziehen.

Wenn sich nun viele Boulevardzeitungen wegen Pezzonis Peinigern empören, steckt darin Heuchelei. Denn es sind die Blätter mit den großen Buchstaben, die mit ihrer gnadenlosen Versager-Rhetorik die Blaupause liefern.

Auch der „FC Blog“ findet deutliche Worte zur Kölner Presse:

Es ist traurig wie einige wenige unseren 1. FC Köln immer wieder in Verruf bringen können. Traurig aber auch, wie bestürzt die lokale Presse auf diese Vorgänge reagiert, hat sie doch bei der kommentierten Benotung und Berichten nie auch nur ein gutes Haar an Pezzoni gelassen oder auch nur versucht, ein wenig Sachlichkeit bei der Berichterstattung walten zu lassen. Die ist sicherlich nicht der alleinige Hauptgrund für diese Vorkommnisse, aber mich kotzt das Vorgehen des Boulevards (inklusive des Kölner Stadtanzeigers) einfach nur noch an. Und ein Teil der „Kölner Fanszene“ eben auch.

David Schmitz sieht bei „Effzeh.com“ den „Fußball in Geiselhaft“ und erkennt unter anderem eine Verantwortung der Medien:

So wehrlos wie der Verein gegenüber dem Umstand ist, dass in seinem Namen solche und andere inakzeptable Aktionen gestartet werden, so wehrlos scheinen „die Medien“ gegenüber sich selbst zu sein. Problematisch ist ihre Rolle dennoch, denn es scheint nicht allzu weit hergeholt, dass sie mit ihrer Berichterstattung über Kevin Pezzoni ihren Teil zur Entstehung dieser Stimmungslage beigetragen haben. Um es klar zu sagen: Die Medien sind nicht Schuld daran, dass Kevin Pezzoni von Idioten bedroht wurde. Aber sie haben eine Verantwortung dafür, dass ein Klima um diese Personalie entstanden ist, das offenbar eine fatale Wirkung auf so manchen gehabt hat.

Peter Hess (F.A.Z.) sieht im „Fall Pezzoni“ den nächsten Vorfall in einer langen Kette.

Pezzoni ist nicht das erste Opfer. Vor ziemlich genau einem Jahr wurde der Magdeburger Regionalligaspieler Daniel Bauer vor seiner Wohnung von mehreren Fans bedroht. […] Ihm (Pezzoni, Anmerkung d.Red.) wurde im Karneval das Nasenbein gebrochen. Dasselbe passierte dem Leverkusener Kadlec bei einem Discobesuch. Auch da wurde der Täter der Kölner Fußball-Gewaltszene zugeordnet. […] Kein Fan hat das Recht auf Siege seiner Mannschaft – und schon gar nicht das Recht, Spieler für ausbleibende Siege zu bedrohen oder zu bestrafen. Jede Bemäntelung dieser Tatsache durch Wegsehen oder gar Tolerieren macht das Leben der Fußballprofis gefährlicher.

Der „4.Offizielle“ gibt zu, dass er oft nicht mit der Spielweise des Fußballers Pezzoni einverstanden war. Aber die Entwicklungen der letzten Woche erschüttern ihn:

Dass ein Spieler des 1.FC Köln nicht mehr für den Verein spielen will, weil er sich nicht mehr sicher fühlt, in der Stadt oder zu Hause, wenn er um sein körperliches Wohlergehen (oder noch schlimmer: das seiner Familie) besorgt ist, dann ist ein Grenze überschritten, die für mich niemals da war, so abstrakt ist das. Es ist nichts anderes als eine verdammte Schande, dass ein paar Idioten wieder dafür sorgen, dass ganz Fußballdeutschland denkt in Köln gibts zum Frühstück Nägel ins Müsli. Es geht mir alles so derbe auf den Keks, das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen.[…]Letztlich ist der Fußball ein einfaches Spiel. Das ist sein Segen und sein Fluch. Ich hoffe, dass Kevin Pezzoni wieder zu diesem einfachen Spiel zurückfindet, wegen dem er wohl mal ursprünglich damit angefangen hat. Dass diese enorme Belastung jetzt von ihm abfällt und er wieder spielen wird. Ohne diese Idioten im Hinterkopf zu haben. Für die Zukunft wünsche ich ihm alles Gute!

Der „Spielbeobachter“ schreibt über den „Prozess der Egobefriedigung durch Entmenschlichung“ und kritisiert Fans, die in ihrer Kritik Grenzen überschreiten. Seine Ratschläge erinnern erschreckend an Kommentare nach dem Selbstmord Robert Enkes:

Und vielleicht ist das der Punkt, an dem jeder einzelne etwas tun kann, im Stadion, im Gespräch mit anderen oder zu Hause vor dem Rechner: Öfter als zuvor innehalten und sich fragen, welchen Umgang mit den Spielern man da gerade etabliert. Auch wenn zwischen Wort und Tat ohne Frage ein Unterschied liegt. […]

Die kritische Frage, die es seitens des FC allerdings zu beantworten gilt ist, ob der Verein sich ebenso einem Vertragsauflösungswunsch gebeugt hätte – und damit den hausbesuchenden Vollidioten das Gefühl des Sieges gestattete – hätte es sich bei dem attackierten Spieler um einen Spieler des Formats Podolski gehandelt.

 Christian Spiller sieht bei „Zeit Online“ hat einen Rat für alle am Fußball Beteiligten:

Es ist eine gefährliche Gemengelage, die sich da bei einigen Fans zusammengebraut hat, bei nur wenigen zwar, aber oft bei sehr einflussreichen. Die Kombination aus viel Testosteron, dem Gefühl, Fußball ist alles im Leben und einem Hauch Sozialneid. Wenn die eigenen, zu Helden stilisierten Spieler sich dann als fehlbar erweisen, bleibt nur Hass. Fußball war schon immer ein Ventil für Emotionen, nun scheint es bei einigen zu bersten. Natürlich, die Täter sollten bestraft werden und auch der 1. FC Köln muss sich fragen lassen, ob er mit dem Okay zur Vertragsauflösung nicht den Erpressern einen Gefallen getan hat. Wahrscheinlich aber sollten alle, die diese Emotionen schüren, wir Medien, Sponsoren, die Vereine selbst, mal ein wenig Luft aus dem Fußball lassen.

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