CE094 Regelmätzchen in der WhatsApp-Gruppe


Lässt der Schiedsrichter nach einem Tor den Anstoß zu, wenn sich sämtliche Feldspieler des Teams, das den Treffer erzielt hat, zum Jubeln außerhalb des Platzes befinden? Natürlich nicht. Trotzdem hielt sich dieses Gerücht bei einigen Mannschaften dieser WM hartnäckig, auch dann noch als es längst als Märchen entlarvt wurde. Wir gehen der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, und blicken auf die Spiele zurück, die seit unserer letzten Episode bis zum Montagabend stattgefunden haben. Dabei gibt es viel Lob für die Unparteiischen, aber die eine oder andere Partie lief auch nicht ganz so gut.
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Klaas Reese
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6 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo.

    Eine Frage zum – natürlich – Videobeweis.

    Die Voraussetzung zum Einsatz des Videobeweises ist der vielzitierte „klare und offensichtliche“ Fehler. Diese Wörter werden oftmals mehr oder weniger synonym verwendet und scheinen als bloße Redundanz wahrgenommen zu werden. Aber wie ich es verstehe, sind hier doch zwei unterschiedliche Prinzipien gemeint:

    1.) Ein „klarer“ Fehler bedeutet, dass die Entscheidung eindeutig falsch ist und dabei auch kein Ermessensspielraum vorliegt.
    2.) Ein „offensichtlicher“ Fehler bedeutet, dass der Schiedsrichter die Situation eigentlich korrekt hätte wahrnehmen „müssen“ oder zumindest die Möglichkeit dazu gehabt hätte.

    Ist das soweit korrekt? Ich bin mir recht sicher, dass der DFB bei den verschiedenen Anpassungen beim Einsatz des VAR im Laufe der Saison mal Wert auf diese Unterscheidung gelegt hatte. Tut die FIFA das auch?

    Ich habe nämlich den Eindruck, dass die „Offensichtlichkeit“ eines Fehlers bei den Diskussionen um den Videobeweis bei diesem Turnier nie wirklich zur Sprache kommt und auch nicht als Kriterium dafür herangezogen wird, ob der VAR-Einsatz gerechtfertigt war.

    Als Beispiel würde mir der zunächst gegebene und dann per Videobeweis zurückgenommene Elfmeter bei Senegal – Kolumbien einfallen. Schon die „Klarheit“ des Fehlers mag man fragwürdig finden, aber von einem „offensichtlichen“ Irrtum kann doch auf gar keinen Fall die Rede sein?

    • So, wie du die Kriterien »klar« und »offensichtlich« verstehst, ist es korrekt. Lutz Michael Fröhlich hatte in der Winterpause das Kriterium der Offensichtlichkeit dahingehend definiert, dass die Video-Assistenten »keine Detektive« sein sollen. Sprich: Wenn man erst in der fünften Zeitlupe nach zehnmaligem Ansehen sieht, dass ein Fehler vorliegt, ist er nicht offensichtlich.

      Die Regularien des IFAB für den Einsatz der VAR sind weltweit für alle Wettbewerbe bindend, wie ja auch die 17 Fußballregeln. Insofern gilt auch bei der WM, dass nur bei »clear and obvious errors« interveniert werden soll. Das hat bislang auch sehr überwiegend geklappt, vor allem in der ersten Turnierwoche. Zuletzt waren allerdings in der Tat einige Eingriffe dabei, denen auch aus meiner Sicht keine klaren und offensichtlichen Fehlentscheidungen vorausgegangen sind. Den Strafstoß bei Senegal – Kolumbien hast du genannt, noch fragwürdiger fand ich, wie in der Podcastepisode gesagt, die dritte Intervention im Spiel Iran – Portugal.

      Ich glaube aber nicht, dass das einer von der FIFA während der WM geänderten Linie entsprang, sondern eher auf den jeweiligen VAR zurückging.

  2. Beim Spiel Deutschland-Südkorea hatte der 4. Offizielle zunächst 6 Minuten Nachspielzeit angezeigt. Nach etwa 1 Minute der Nachspielzeit fiel das erste Tor für Südkorea, was mit entsprechendem Jubel auch zu Verzögerungen führte. Nach Ablauf der 6 Minuten pfiff der Schiedsrichter nicht ab, statt dessen zeigte der 4. Offizielle nochmal eine „3“ an; nach insgesamt 9 Minuten wurde dann abgepfiffen.

    Ich habe zwar schon gesehen, dass der Schiedsrichter länger laufen ließ, wenn es eben in der Nachspielzeit zu neuen Verzögerungen (Verletzung oder wie hier Tor) gekommen ist. Ich habe aber ehrlich gesagt noch nie eine zweite Zeitanzeige des 4. Offiziellen gesehen und hätte das auch bisher für nicht zulässig gehalten. War ich da nur unaufmerksam oder gibt es da zu dieser WM eine neue Regel.

    Ich würde mich freuen, wenn ihr im nächsten Podcast, den ich schon sehnlichst erwarte, kurz darauf eingehen könntet.

  3. Moin – zu allererst mal Lob für euren Grosartigen Podcast aufgrund dessen ich nun schon seit 3 Jahren Schiedsrichter bin da ihr mein Interesse daran geweckt habt.

    Es wäre cool wenn ich trotz WM auch diesen Fall kurz aufgreifen könntet:

    http://www.kicker.de/news/fussball/intligen/intpokale/fussball-vereine-freundschaftsspiele/2018-19/5/4338587/spielbericht_holstein-kiel-1297_sc-weiche-flensburg-08-52350.html

    Obwohl man gerade in Freundschaftsspielen öfter mal ein Auge zudrückt scheint das das Verhalten doch sehr regelwidrig zu sein – zumal es bei der Roten Karte geblieben ist.
    Wenn er die Karte zurückgenommen hätte mit der Anweisung an der Trainer den Spieler doch lieber zum selbstschutz aus zu wechseln wäre das etwas anderes gewesen (gerade in Freundschaftsspielen habe ich dies schön häufiger mal gemacht und bin damit immer gut gefahren).

    Eine andere Frage hätte ich noch:
    Bei meinem letzten (Punkt-)Spiel das ich geleitet habe kam es zu einer Situation in der ich (obwohl es vorher noch keine Karten gegeben hatte und es ein sehr faires Spiel war) mich gezwungen sah aufgrund einer Notbremse (Halten am Oberkörper) einen Platzverweis aus zu sprechen.
    Nach Kommentaren der Angreifenden Mannschaft (auch des gefoulten Spielers) wurde ich allerdings darauf aufmerksam gemacht dass ich die Situation vermutlich falsch eingeschätzt hatte und der Spieler sich ohne Eingreifen des Verteidigers eher Richtung Ecke als direkt aufs Tor gelaufen wäre und es sich keinesfalls um eine klare Torchance gehandelt hätte.
    Nach absprache mit beiden Kapitänen nahm ich dann die Rote Karte zurück und gab dem Spieler stattdessen eine Gelbe Karte – der Freistoß blieb bestehen.
    Als ich daraufhin einen Sonderbericht wegen besonders Fairem Verhalten schreiben wollte wurde ich von meinem Obmann davon abgebracht da es sich seiner Meinung nach um einen klaren Regelverstoß meinerseits gehandelt habe.
    Der obige Fall hat mich doch ein bisschen an meinen Fall erinnert weshalb ich gerne wüsste ob es sich dabei wirklich um einen so klaren Fehler gehandelt hat.

    Gruß,
    Hannes

  4. Lieber Hannes, erst einmal vielen herzlichen Dank – wenn jemand Schiedsrichter wird und sagt, dass wir sein Interesse an dieser Tätigkeit geweckt haben, ist das ein wunderbares Kompliment, das uns riesig freut. Die beiden Situationen, um die es in deinem Kommentar geht, werden wir in jedem Fall im Podcast besprechen. Hier vielleicht schon mal vorab ein paar Gedanken dazu.

    Was da in Kiel passiert ist, hat es schon in (bzw. vor) der vergangenen Saison im einen oder anderen Testspiel gegeben: Die Mannschaft, der eigentlich eine Überzahl beschert worden wäre, wollte lieber mit elf gegen elf weitertesten, um den regulären Wettkampf zu simulieren. Nachvollziehbar aus ihrer Sicht. Den Schiedsrichter bringt das in einem Freundschaftsspiel aber in eine schwierige Situation: Wenn er darauf besteht, dass jetzt mit elf gegen zehn weitergemacht wird, weil die Regeln das nun mal so vorsehen und diesbezüglich auch keinen Spielraum lassen, hat er letztlich beide Teams gegen sich. Wenn er sich dagegen auf das Agreement der Mannschaften einlässt, beugt er die Regeln (wenn auch nur in einer Partie, in der es um nichts geht), aber alle sind damit zufrieden.

    Mir ist dein Kompromissvorschlag sehr sympathisch, weil er regelkonformes Verhalten mit dem Wunsch beider Teams in Einklang bringt: Rot zurücknehmen (oder gar nicht erst zeigen), den Trainer aber dazu anhalten, den Spieler auszuwechseln. Dabei würde ich allerdings sagen, dass es schon auf den Grund für den Feldverweis ankommt. Eine »Notbremse« durch ein Festhalten am Trikot oder ein Handspiel auf der Torlinie ist schon etwas anderes als ein grobes Foulspiel oder eine Tätlichkeit. Wenn einer also einen Gegner von hinten rüde umgrätscht oder ihn schlägt, gibt es keinen Grund, eine Rote Karte zurückzunehmen – und eigentlich auch keinen Grund, in einem Testspiel ein »Auffüllen« zuzulassen.

    Was dein eigenes Spiel betrifft, ist es im Grunde genommen noch schwieriger. Wenn selbst die begünstigte Mannschaft sagt, sie sehe keinen Grund für einen Feldverweis, weil keine klare Torchance verhindert worden sei, hält man als Schiedsrichter dann die Rote Karte aufrecht und macht sich so zum Buhmann, obwohl sich alle einig sind? Ignoriert man diese ja sehr ungewöhnliche und seltene Fair-Play-Geste und steht dann als herzloser Scharfrichter da? Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen: Der Schiedsrichter ist nun mal derjenige, der ein Vergehen feststellt und das angemessene Strafmaß bestimmt. Und da sehe ich einen Unterschied zwischen einer Situation, in der ein Spieler kommt und sagt: »Schiri, ich bin gar nicht gefoult worden, sondern bloß unglücklich hingefallen/habe mich fallen lassen«, und einer Situation, in der ein Vergehen (Foulspiel) unzweifelhaft vorliegt, die Spieler aber das Strafmaß reduziert haben wollen.

    Das Problem ist immer auch ein bisschen, dass im weiteren Verlauf des Spiels eine Situation enstehen kann, in der die eine Mannschaft gerne eine Art Lohn für ihr faires Verhalten sehen will. Konkret: Knapper Spielstand, »Notbremse« auf der anderen Seite, Gegner und Schiedsrichter werden bedrängt, jetzt doch bitte auch bzw. noch einmal kulant zu sein. Im ungünstigsten Fall bekommt man da von den Spielern die Festlegung des Strafmaßes aus der Hand genommen oder wird zumindest unter moralischen Druck gesetzt. Der Schuss kann also auch nach hinten losgehen. Deshalb ist es im Zweifelsfall dann doch besser, nur seinen eigenen Augen zu trauen und auch eine unpopuläre Entscheidung gegen Widerstände durchzusetzen.

    Ich hatte eine ähnliche Situation wie du vor nicht allzu langer Zeit mal als Beobachter: Der Kollege auf dem Feld gab einen Strafstoß wegen eines Handspiels. Aus meiner Sicht völlig zu Recht: Das Handspiel war klar und deutlich, die Strafbarkeit war hundertprozentig gegeben (eine persönliche Strafe musste nicht erfolgen, und es gab sie auch nicht). Das Team, das den Elfmeter zugesprochen bekam, führte zu diesem Zeitpunkt aber mit großem Vorsprung und bat den Schiedsrichter, den Strafstoß zurückzunehmen. Begründung: Der Gegner habe das ja nicht mit Absicht getan. Der Schiedsrichter ließ sich darauf ein und machte mit einem Schiedsrichter-Ball weiter. Dafür habe ich ihm Punkte abgezogen, weil es nach meinem Dafürhalten nicht anging, eine vollkommen korrekte und unausweichliche Entscheidung zu revidieren. Er war erstaunt und fragte mich, was er denn hätte tun sollen. Meine Antwort war: die Entscheidung aufrecht erhalten – wenn die Mannschaft den Elfmeter nicht will, kann sie ihn ja absichtlich neben das Tor schießen.

    Einen Regelverstoß hast du aus meiner Sicht übrigens nicht begangen, denn du hast ja die Regeln nicht falsch angewendet. Schließlich kannst du jede Entscheidung bis zur Spielfortsetzung ändern, wenn du zu der Überzeugung gelangst, dass sie falsch war. Nichts anderes hast du getan.

    Viele grüße aus Köln und allzeit Gut Pfiff!

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