CE088 Blindes Vertrauen


Haben wir geglaubt, dass dank des Videobeweises künftig kaum noch über Schiedsrichter-Entscheidungen diskutiert und damit auch unser Podcast zunehmend überflüssig werden wird? Dann haben wir uns wohl geirrt. Denn bislang wurde an jedem Spieltag in dieser Saison rege, manchmal hitzig und immer kontrovers über diese Neuerung debattiert, räsoniert, gestritten. Was ist denn nun eigentlich ein klarer Fehler, der den Video-Assistenten ins Spiel bringt und den Unparteiischen zu einer Änderung veranlasst? Wo verläuft die Grenze? Und warum gehen die Referees seit dem sechsten, siebten Spieltag so oft in die Review Area am Spielfeldrand, um sich strittige Szenen selbst noch einmal anzusehen – wo es doch ursprünglich hieß, das solle nur in Ausnahmefällen geschehen? Wir versuchen uns an einer Aufklärung (und Versachlichung), resümieren, wie es bislang mit dem Videobeweis lief, und analysieren seine Einsätze. Außerdem blicken wir auf das Bundesliga-Debüt von Bibiana Steinhaus zurück und erklären, warum ein Elfmeter zurückgenommen wird, wenn im Publikum jemand in eine Trillerpfeife bläst.
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36 Kommentare » Schreibe einen Kommentar

  1. Nicht dass es überraschend kommt: Aber die Regel, dass Spieler, die den Videobeweis fordern, verwarnt werden sollen, kann getrost gestrichen werden. Nach jedem Elfmeter (und vielen Zweikämpfen) findet nun eine Rudelbildung um den Schiri statt, wie heute bei Zweyer und Winkmann. War aber abzusehen…

  2. Habe gerade bei Zeigler gesehen, wie Goalie Philipp Tschauer einen Abstoß ins eigene Toraus kickte. Leider war die Spielfortsetzung nicht zu sehen, aber da das innerhalb des eignen Strafraums passierte, hätte der Abstoß doch wiederholt werden müssen, oder?

    • Ich habe die Szene leider nicht gesehen. Wenn der Ball den Strafraum verlassen hat, bevor er über die Torlinie rollt, gibt es einen Eckstoß. Hat er den Strafraum vorher nicht verlassen, wird der Abstoß wiederholt.

  3. 3:19, Respekt. Ehrlich gesagt nicht meine Lieblingsdauer, aber meine Aufmerksamkeitsspanne hat gereicht. Sehr schön, sehr informativ, vielen Dank.

    Ich hätte dann mal noch ne Frage. Zum Videobeweis, im weiteren Sinne:
    Wer den Monitor in die Luft zeichnet, soll, wenn ich es recht verstanden habe, gelb bekommen. Gut so.
    Wie wird es denn seitens der Schiedsrichter gesehen, wenn ein Amateurspieler den Monitor zeichnet, was ja nicht nur ein recht weit verbreiteter Scherz auf Deutschlands Kreisligaplätzen sein dürfte, sondern auch eine sichtbare Kritik am Schiedsrichter ist, die dieser für geeignet halten mag, seine Autorität zu untergraben. Gibt’s da auch gelb?

    • Bei meinen bisherigen Einsätzen in dieser Saison als Beobachter und als Assistent ist mir das noch nicht untergekommen, und auch die Kollegen haben noch nichts dergleichen erzählt. Aber das wird sicherlich hier und da vorkommen, das glaube ich auch. Und dann sollte damit verfahren werden wie in der Bundesliga und wie bei anderen unsportlichen Gesten auch (z.B. dem Formen einer Brille mit den Fingern): Der Spieler ist zu verwarnen. (Wobei ich trotzdem wohl erst mal lachen müsste, wenn das einer im Amateurbereich macht.)

  4. Meine Erfahrung aus dem Amateurfußball: wenn man als Fan den Videobeweis fordert macht ein guter Schiedsrichter die entsprechende Geste

  5. Moin,
    auch nach weiterem, mehrmaligen Durchlesens des IFAB-Protokolls finde ich nicht die Stelle, die dem Schiedsrichter beim Eigenreview erlaubt, vom Grundsatz „nur eindeutige Fehler korrigieren“ abzuweichen.

    Und Nachfrage (kann gut sein, dass das schon mal erklärt wurde, ich das aber schon wieder vergessen habe):
    Da steht “ Am Ende stellt der Schiedsrichter die korrekte Fortsetzung des Spiels sicher“
    Ähh, was ist denn die „korrekte Fortsetzung“ nach einem Review, bei dem sich der Verdacht nicht bestätigt hat?

  6. Es steht nicht wörtlich im Protokoll, ich schließe es aus bestimmten Formulierungen und daraus, dass in der Praxis schon mehrfach Entscheidungen nach einem Review am Spielfeldrand geändert wurden, obwohl bei Lichte betrachtet kein wirklich klarer Fehler vorlag. Kann natürlich sein, dass es offiziell heißt: Doch, das waren klare Fehler, wie kann man da anderer Ansicht sein? Kann außerdem sein, dass die betreffenden Schiedsrichter schlicht gegen das Protokoll verstoßen haben. Da sich das aber über mehrere Spieltage hingezogen hat und solche Dinge natürlich ausgewertet und besprochen werden, glaube ich eher, dass der DFB und mit ihm die Schiedsrichter die entsprechende Praxis im Einklang mit den Regularien sehen. Vielleicht will man auch nur Fakten schaffen.

    Zu den Formulierungen:
    — »Eine SV [Schiedsrichter-Videoüberprüfung] dient hauptsächlich ›subjektiven‹ Entscheidungen, zur Unterstützung der Kontrolle über das Spiel oder um eine Entscheidung zu ›bekräftigen‹.«
    — »Am Ende des Prüfungsvorganges fällt der Schiedsrichter die endgültige Entscheidung und zeigt das Ergebnis der Prüfung eindeutig an, trifft/ändert/widerruft jegliche Disziplinarmaßnahme (falls zutreffend) und stellt die korrekte Fortsetzung des Spiels sicher.«

    Aus der ersten Formulierung geht hervor, dass ein Review an der Seitenlinie auch aus taktischen Gründen vorgenommen werden kann. Und ich glaube, dass es schwer zu vermitteln (und vermutlich auch gar nicht gewollt) ist, wenn da ein Referee aus der Review Area aufs Feld zurückkehrt und eine eigene Entscheidung (die immer noch mal etwas anderes ist als eine, die ein anderer getroffen hat) aufrecht erhält, die vielleicht nicht glasklar falsch, aber so fragwürdig ist, dass man sie nur mit großen Bauchschmerzen bestehen lassen kann.

    Ein diesbezügliches Paradebeispiel ist für mich die Entscheidung von Benjamin Cortus, dem 1. FC Köln beim Spiel in Stuttgart kurz vor Schluss einen Strafstoß zuzusprechen. Dieser Pfiff war vielleicht nicht total daneben, aber an ihm war wesentlich mehr falsch als richtig. Gut, vielleicht heißt es offiziell: Das war für uns ein klarer Fehler. Aber dann finden sich genügend andere Beispiele, in denen die Schiedsrichter nach dem Aufsuchen der Review Area eher die bestmögliche Entscheidung getroffen haben, als sich ausschließlich an der Frage zu orientieren, ob eine klare Fehlentscheidung vorliegt.

    Und ich glaube, es ist auch schwierig zu argumentieren, dass ein Schiedsrichter, der nach einer spielrelevanten Situation an den Monitor eilt, nicht die bestmögliche Entscheidung treffen dürfen soll – obwohl er auf dem Feld doch genau darum bemüht ist –, sondern seine Entscheidung nur dann ändern darf, wenn sie hundertprozentig daneben war. Aber klar, wenn du jetzt sagst: Kein Spielraum, im Protokoll steht nun mal »Die ursprüngliche Entscheidung des Schiedsrichters wird nicht geändert, bis die Videosichtung zweifelsfrei zeigt, dass die Entscheidung eindeutig falsch war«, und die zitierten Sätze geben auch keine Einschränkung her, dann ist das gewiss nicht abwegig.

    Zu deiner Nachfrage: Wenn der Ball z.B. ins Seitenaus geht, es dann zum Review wegen eines Strafstoßverdachts kommt und sich dieser Verdacht nicht erhärtet, geht es mit einem Einwurf weiter. Hat der Schiedsrichter auf Strafstoß entschieden und anschließend im Review gesehen, dass das zweifelsfrei eine falsche Entscheidung war, gibt es einen Schiedsrichter-Ball. Oder verstehe ich deine Frage falsch?

    • Hallo,
      Danke für die ausführliche Antwort.
      Das Problem, dass ich dabei habe, ist dass damit der Grundsatz „nur einsetzen, wenn eindeutig falsch“ komplett ausgehebelt wird. In der Praxis reicht es dann doch aus, wenn der VAR sagt „da gibt es eine bessere Entscheidung“, damit der Schiri zum Review geht und seine Entscheidung ändert. „de jure“ kann er natürlich zu einer anderen Bewertung kommen (oder den Review nicht durchführen), aber „de facto“ werden doch VAR und Schiri ein beidseitiges Interesse am Konsens haben. Das führt dann dazu, dass der Eigenreview nur noch „pro forma“ durchgeführt wird, das Ergebnis steht schon vorher fest. Gab es bisher schon den Fall, dass der Schiri nach einem Eigenreview seine Entscheidung nicht(!) korrigiert hat?

      Zur Nachfrage: Ja, die Frage war so gemeint, bezieht sich aber auf einen etwas komplizierteren Fall. Angenommen, Stieler wäre bei Stuttgart-Freiburg zu der Entscheidung gekommen „absichtliches Handspiel ja, aber kein rotwürdiges Vergehen“ (der Reviewverdacht bestätigt sich also nicht), wie geht das Spiel denn dann weiter? Freistoss Stuttgart +Gelb, Schiriball in der Stuttgarter Hälfte, Schiriball+Gelb?

      • Ja, das stimmt, und das ist vielleicht auch eines der zentralen Probleme, die es mit dem Videobeweis bislang gibt: So richtig konsistent ist die Definition eines klaren Fehlers bislang nicht, weshalb mal relativ niedrigschwellig eingegriffen wird und mal gar nicht, obwohl viel dafür spräche. Und ein Review am Spielfeldrand läuft oft auf die Option »bestmögliche Entscheidung« hinaus. Das macht es leider ein bisschen unberechenbar, und das ist natürlich nicht gut. (Zu deiner Frage: Dingert hat bei Gladbach – Hannover seine Elfmeterentscheidung in der Nachspielzeit auch nach dem Review an der Seitenlinie beibehalten.)

        Zur Nachfrage: Das ist tatsächlich umstritten. Nach meiner Kenntnis und Recherche stellt sich die Sachlage derzeit so dar, dass die ursprüngliche Entscheidung aufrecht erhalten werden muss, wenn der Schiedsrichter nicht selbst das Review durchführt, sondern nur der Video-Assistent. Das hieße für die Szene beim Spiel Stuttgart – Freiburg: Schiedsrichter-Ball im Mittelfeld, keine persönliche Strafe. Führt der Schiedsrichter aber das Review selbst durch, dann »trifft/ändert/widerruft [er] jegliche Disziplinarmaßnahme (falls zutreffend) und stellt die korrekte Fortsetzung des Spiels sicher«. Das hieße demnach: Verwarnung, direkter Freistoß.

        Wie gesagt: So soll es nach meinen Recherchen derzeit gehandhabt werden, auch wenn es ein bisschen eigenartig anmutet, dass Spielfortsetzung und persönliche Strafen davon abhängen sollen, ob der Schiedsrichter sich die Szene selbst ansieht oder nur sein VA. Das Protokoll des IFAB ist an dieser Stelle interpretationsfähig, was dann auch zu unterschiedlichen Auslegungen durch die nationalen Verbände führen kann, jedenfalls im Moment. Kann mir aber gut vorstellen, dass das im Zuge der Auswertung im Frühjahr 2018 angeglichen wird.

        • Der von Dir zitierte Satz gilt aber allgemein, nicht nur für den Eigenreview. Denn selbstverständlich muss der Schiedsrichter auch wenn er die Empfehlung des VAR „blind“ übernimmt, danach die passenden Disziplinarmassnahmen aussprechen/zurücknehmen und das Spiel „korrekt“ fortsetzen.
          Zusätzlich gebe das dem Schiedsrichter die Möglichkeit an die Hand, jeden Einwurf korrigieren zu können. Einfach mit dem Argument „Ich hab da mal nen Rotverdacht“ den Review durchführen, feststellen dass sich der Verdacht nicht erhärtet und dann mit der korrigierten Einwurfentscheidung fortfahren.
          Und schlimmer noch: Baut man die Szene aus Stuttgart-Freiburg mal ein bischen um: Statt Unterbrechung im Mittelfeld wäre das Spiel durch ein Foul eines Stuttgarter im eigenen Strafraum unterbrochen worden. Jetzt kommt der Review auf das vermutete Handspiel und heraus käme, nicht der Abwehrspieler hat das Handspiel begangen, sondern der Angreifer. Dann muss die korrekte Spielfortsetzung lauten: Freistoss für Freiburg am eigenen Strafraum (anstatt Elfmeter für Freiburg, wenn er die Handspielszene nicht reviewed hätte). Also eine Verschlechterung der Situation für die Freiburger aufgrund eines unbegründeten Rotverdachtes. Das kann doch einfach nicht richtig sein.

          • Es gab am ersten Spieltag eine Szene im Spiel Hertha – Stuttgart, bei der es zu einem Zweikampf auf Höhe des Berliner Strafraums kam. Ein Stuttgarter fiel, es bestand der Verdacht, dass es sich um ein Foul im Sechzehner gehandelt haben könnte. Der Schiedsrichter unterbrach aber nicht, kurz darauf ging der Ball, zuletzt berührt von einem Stuttgarter, ins Toraus. Nun bat der Referee den Video-Assistenten um eine Prüfung. Ergebnis: Kein Foul im Strafraum – aber Foul außerhalb. Große Frage nun: Abstoß? Oder direkter Freistoß für Stuttgart? Der Schiedsrichter entschied sich für Letzteres. Das war nach Lehrmeinung des DFB nicht richtig. Hätte sich der Unparteiische die Szene aber selbst am Monitor angesehen, wäre die Entscheidung richtig gewesen. Deshalb sagte Stieler ja auch zu der Szene am Sonntagabend, es gebe vielleicht bessere Argumente für Gelb. Das kann er natürlich nur so formulieren, wenn man davon ausgeht, dass er nach einem Review am Spielfeldrand die komplett richtige Entscheidung trifft. Denn ansonsten hätte er – Stichwort: kein klarer Fehler – auf Schiedsrichter-Ball entscheiden und auf eine Karte verzichten müssen.

            Und deshalb müsstest du mit deinem Einwurf- und dem Stuttgart-Szenario Recht haben – jedenfalls dann, wenn der Schiedsrichter selbst gucken geht. Nur auf dieser Grundlage konnte übrigens auch die Korrektur im Confed-Cup-Finale zustande kommen. Nach dem Ellenbogencheck von Jara gegen Werner hatte der Schiedsrichter ja auf »kein Foul, Einwurf« entschieden. Als der VA sich dann einschaltete und der Referee sich die Szene am Monitor selbst ansah, entschied er auf Verwarnung (weil er keine Tätlichkeit gesehen haben wollte) und Freistoß. Ohne eigenes Review hätte es, jedenfalls nach deutschen Maßstäben, ohne persönliche Strafe und mit einem Einwurf weitergehen müssen.

            Das mutet natürlich fragwürdig an, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es bei dieser Auslegung bleibt.

          • Und nun bestätigt der DFB in einem Schreiben an die Bundesligisten, dass er nach dem 5. Spieltag eine Kurskorrektur beim Videobeweis vorgenommen hat:

            http://www.kicker.de/news/fussball/bundesliga/startseite/709808/artikel_dfb-passt-videobeweis-heimlich-an.html

            »Wir haben nach dem 5. Spieltag eine Kurs-Korrektur vorgenommen, ohne den grundsätzlichen Ansatz des VA-Projekts ›Eingriff nur bei klarem Fehler‹ in Frage zu stellen«, heißt es in einem von Lutz Michael Fröhlich und Hellmut Krug unterzeichneten DFB-Schreiben vom 25. Oktober, das an alle Bundesligisten verschickt wurde und das dem kicker in Gänze vorliegt. »Bei schwierigen Situationen, in denen die Einordnung der Schiedsrichterentscheidung in die Kategorie ›Klarer Fehler‹ nicht zweifelsfrei gewährleistet ist, der Video-Assistent aber starke Zweifel an der Berechtigung der Schiedsrichterentscheidung hat, soll er das dem Schiedsrichter unverzüglich mitteilen.«

            Wenn sich die Wahrnehmung beider dabei »gravierend« unterscheide, könne der Referee sich die Situation noch einmal am Video-Monitor anschauen. »Die Entscheidung, ob ihm ein klarer Fehler unterlaufen ist, liegt dann bei ihm selbst«, schreibt der DFB und verweist auf die Definition, die die internationalen Regelhüter des IFAB vorgeben: »Ein klarer Fehler des Schiedsrichters liegt vor, wenn er seine Entscheidung nach Betrachtung des Bildmaterials unverzüglich ändern würde.«

          • MiMü, Axel: Erst einmal große Liebe für das Verhandeln dieser Frage anhand der Interpretation des Regeltextes.

            Alex, ich muss aber zugeben, dass mich persönlich Deine Argumentation (wie auch die in der Sendung) nicht überzeugt.

            Warum sollte aus dem Umstand, dass sich der HSR auch aus eigenen Stücken (und selbst, wenn er von seiner Entscheidung überzeugt ist) des Reviews zur Bekräftigung seiner Entscheidung nutzen darf, geschlossen werden, in diesem Falle verschiebe der Maßstab sich plötzlich zur absoluten Wahrheit der Bilder und nicht zum Nachweis einer zweifelsfrei falschen Entscheidung durch sie?

            Ganz im Gegenteil würde ich dies so sehen: Wenn der HSR in einem solchen Fall erschrocken feststellt, dass seine Entscheidung ihm einerseitss gar nicht mehr so absolut und unhinterfragbar richtig erscheint, wie er dachte, sie sich aber andererseits als zumindest durchaus (gerade noch) vertretbar herausstellt, dann soll er dies doch bitte als Nachweis genau dessen nehmen: Seine Entscheidung ist zumindest gerade noch vertretbar. Man hat sich extra die Bilder angeschaut. Und diese widerlegen die Entscheidung nicht zwingend. Bums, aus.

            Ich habe also dazu eine Interpretation und Du hast dazu eine Interpretation. Selbstredend halte ich meine für die einzig richtige. Absurderweise folgt die Realität dieser Prämisse nicht in jedem Fall. Gleichwohl: Wenn zwei Interpretationen halbwegs gleichwertig zulässig erscheinen würde ich persönlich schon derjenigen den Vorteil geben, die nicht gegen den Wortlaut der Regelung argumentieren muss. Und dies scheint mir meine zu sein.

  7. Uff, CE89 schon in der Mache, dabei hab ich 88 noch nicht mal halb gehört….
    Aber okay, zwei Fragen sind mir zum VAR gekommen:

    1) „zu frühes Hineinlaufen beim Elfmeter“
    Ohne VAR konnte der Schiri ein bischen Kulanz bei der Bewertung, ob ein Spieler zu früh in den Strafraum gelaufen war, walten lassen. Das war über die Tatsachenentscheidung gedeckt („Für mich ist der nicht zu früh hineingelaufen, basta“). Aber was ist denn jetzt mit dem VAR? Immer noch Kulanz oder „klar falsch“? Denn nach den Regeln ist das Tor doch eindeutig irregulär, wenn der eigene Mitspieler zu früh den Strafraum betritt?

    2) „Nachspielzeit aufgrund VAR“
    Es ist ja schon einige Male vorgekommen, dass zwischen Vergehen und Unterbrechung einiges an Spielzeit verstrichen ist (in der Spitze 1 Minute und mehr). Wenn dem Review stattgegeben wird, ist das ja quasi „Phantomzeit“, da das Spiel bis zu der „Vergehenssituation“ zurückgesetzt wird. Wird diese „Phantomzeit“ 1:1 nachgespielt? Und wer achtet darauf?

    • 1) Grundsätzlich kann es auch ein Review geben bei der Ausführung eines Elfmeters. Allerdings nur wenn es zur direkten Einflussnahme kommt.
      Direkt Einflussnahme heißt:
      1. Angriffer, der zu früh einläuft, trifft oder ist unmittelbar beteiligt am Torerfolg
      2. Verteidiger, der zu früh einläuft, hindert Angreifer am Spielen des Balles bei klar vorliegender Torchance

      Wenn keine direkte Einflussnahme vorliegt darf kein Review erfolgen.
      Da wird sich also vermutlich nicht viel ändern hinsichtlich der derzeit üblichen Kulanz

          • Zu 1. hat luk schon alles gesagt. Steht in besagtem Handbuch (das es leider nicht online gibt) unter Punkt 8.11 (»Penalty kicks and Kicks from the Penalty Mark«). Wörtlich heißt es dort: »Encroachment can only be reviewed if: an attacker who encroached scores or is directly involved in a goal being scored; a defender who encroached prevents an attacker playing or being able to play the ball in a situation where a goal might be scored.«

            Zu 2. steht unter Punkt 8.18:»Whenever the referee stops play or delays the restart of play for a ‘check’ or for a ‘review’ the time between the start of the delay and the restart of play must be included in the additional time at the end of the half in which it occurred.« Das gilt unabhängig davon, ob eine Entscheidung geändert oder bestätigt wurde.

          • Nein, das beschreibt ja die Zeit zwischen Unterbrechung und Wiederaufnahme. Das ist klar, da ist das Tracking auch einfach. Mir geht es um den Zeitraum davor(!), also wenn das Spiel erstmal weiterläuft und dann später unterbrochen wird. Bei dem Elfmeter für Dortmund wegen Haltens, aber auch bei der Notbremse gegen Freiburg lief das Spiel ja eine ganze Weile weiter, bevor unterbrochen wurde. Um die Zeit geht es mir (zwischen Vergehen und Unterbrechung).

          • Dazu finde ich im Handbuch nichts (was an mir liegen mag). Von der Logik her müsste diese Zeit auch nachgespielt werden, aber ich bin mir nicht so sicher, ob das in der Praxis tatsächlich geschieht.

  8. Zur letzten Sendung:

    – Ihr wundert Euch über die Diskrepanz in Krugs Bewertungen von einerseits Neuers Aktion im WM-Finale damals und andererseits von Casteels Aktion letztens. Ich meine, diese Diskrepanz besteht nicht. Krug bewertet nämlich unterschiedliche Dinge: Einerseits die Entscheidung des HSR, andererseits die Entscheidung des VAR.

    Ich weiß nicht, ob dem so wäre. Aber ich finde die Annahme zumindest nicht abwegig, dass er zur Entscheidung des HSR befragt zu einer ähnlichen Antwort wie damals gekommen wäre. In jedem Fall finde ich, dass Krug zu dieser Frage keine Aussage getroffen hat.

    Dies empfinde ich unabhängig von diesem Einzelfall übrigens als einer der absurdesten Konsequenzen des Video-Reviews: Allenthalben werden nur noch die Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen des VAR hinterfragt. Die (vorherigen) Entscheidungen der HSR auf dem Platz sind nach meiner Beobachtung aus dem öffentlichen Diskurs quasi völlig verschwunden. Irgendwie scheint da die Riege der (zu Teilen sogenannten) Sportjournalisten fast gänzlich jedes Abstraktionsvermögen vermissen zu lassen. Aber dann lauthals beklagen (ein Argument, dass ich ohnehin ablehne, doch dazu s.u.), der HSR werde durch den „Videobeweis“ „enteiert“.

    – Ihr habt Euch dankenswerterweise inhaltlich und anhand des Regeltextes Gedanken darüber gemacht, ob es überhaupt von den Regularien gedeckt sei, nach Prüfung einer Szene, in der ein Platzverweis in Frage kommt, auf Grund dieser Prüfung eine gelbe Karte auszuwerfen. Eine Frage, die sich übrigens von dieser Detail-Frage aus ausweiten lässt: Dürfen Erkenntnisse, die aus einem zulässigen Review gewonnen wurden, auch für die Verhängung von Konsequenzen genutzt werden, deren Ursache selber kein Review gerechtfertigt hätten? Oder gilt im Fußball die Doktrin der Früchte des vergifteten Baums?

    Ich halte dies aus einer hier zu Recht beliebten Argumentation heraus für von den Regularien gedeckt: Dem Geist der Regel (Schuhu).

    Es gibt einen Numerus Clausus an Anlässen für ein Review. Der Sinn dieser Beschränkung ist offensichtlich (ein anderer Grund ist nicht ersichtlich) ein rein praktischer: Es soll nicht jeder Kleinscheiß diesem zusätzlichen Aufwand anheim fallen. Wenn aber das Review bereits erfolgt ist, dann ist dieser Aufwand bereits erbracht. Es gibt dann keinen pragmatischen Grund mehr, ihn nicht auch zu verwerten.

    • Zu Krugs Bewertung: In der vom DFB auf Facebook veröffentlichten Einschätzung von Krug zur Casteels/Gentner-Szene heißt es: »Regeltechnisch ist die Entscheidung zwar grenzwertig, aber vertretbar.« Mit »Entscheidung« ist in diesem Fall die Entscheidung auf dem Feld gemeint, nicht die Entscheidung des VAR, nicht einzugreifen. Damit sehe ich die Vergleichbarkeit mit der Neuer/Higuain-Szene als gegeben an.

      Zur Frage »Dürfen Erkenntnisse, die aus einem zulässigen Review gewonnen wurden, auch für die Verhängung von Konsequenzen genutzt werden, deren Ursache selber kein Review gerechtfertigt hätten?«: Da sind wir wieder bei dem Beispiel, über das MiMü und ich oben diskutiert haben (am Fall des Handspiels von Söyüncü im Spiel Stuttgart – Freiburg). Es gibt einen Unterschied zwischen einer Prüfung durch den VA und einem Review, das der Schiedsrichter veranlasst. Zumindest bei den persönlichen Strafen wird das klar. Ich zitiere noch mal aus dem IFAB-Handbuch:

      8.4 Disciplinary action – yellow cards
      If during a review, a yellow card offence is identified, can the player be cautioned (YC)?
      If during a review for a goal/penalty/red card a clear yellow or red card offence is identified, the referee must take the correct disciplinary action. For example:
      • a review for a penalty incident clearly shows that the attacker was guilty of simulation
      • a review for a goal clearly shows that an attacker deliberately handled the ball into the goal
      • a review for a potential red card for serious foul play, clearly shows that the offence was ‘reckless’ and not ‘serious foul play’
      • a review for a potential red card offence during mass confrontation clearly shows other players adopting an aggressive attitude towards an opponent
      • a review of a DOGSO offence clearly shows that the offence was (only) ‘stopping a promising attack’
      The referee cannot initiate a review for a caution (YC).

      8.14 What should the VAR do if a ‘check’ for a possible red card identifies a ‘missed’ yellow card offence?
      The VAR is checking a potential ‘missed’ direct red card but the check reveals that it was not a red card but was a clear yellow card – what should happen?
      Nothing – a review can only occur if there has been in a clear error involving a missed red card. If the check reveals that a clear red card was not missed there can not be a review and there should not be any communication with the referee, except to confirm that there was no missed red card.
      ‘Missed’ yellow cards can only be issued as part of a review that occurs because of a clear error/serious missed incident involving a goal, penalty, direct red card or mistaken identity.

      Das heißt also: Stieler hätte Söyüncü auch die Gelbe Karte zeigen dürfen, aber der VA Zwayer hätte sie ihm nicht empfehlen dürfen. MiMü hat argumentiert, dass diese Regelung das Tricksen ermöglicht: Einfach ein Review wegen eines Rotverdachts empfehlen, Schiedsrichter stimmt zu, alles ist möglich. Wobei das IFAB da vermutlich argumentieren würde: Der VA darf hier ja nur eingreifen, wenn es ein klarer Fehler war, nicht Rot zu zeigen, ansonsten hat er zu schweigen. Aber ein taktisch versierter VA würde dann vielleicht antworten: Also, ich habe da einen Rotverdacht gehabt und ihn mitgeteilt. Aber ja, jetzt, wo ich es noch einmal sehe, muss ich zugeben, der war unbegründet.

      • Danke.

        Nur nochmal zur Klarstellung: Es ist dem VAR nicht erlaubt, eine vermisste gelbe Karte zu empfehlen, wenn der HSR das Spiel ohne Prüfung weiter laufen lässt.

        Wenn aber ohnehin eine Prüfung einer Situation stattfindet, dann kann (und soll) der VAR seine Beobachtungen mitteilen, die den HSR zu dieser korrekten gelben Karte führen.

        Richtig? So lese ich die Formulierung im Handbuch und so verstehe ich auch Dich. Ersteres allerdings eindeutiger als letzteres.

        • Eigentlich müsste es so stimmen. Aber mir sind Fälle bekannt, in denen die Lehrmeinung lautet, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Review, das der Schiedsrichter selbst am Monitor durchführt, und einem, das nur durch den VA geschieht (siehe meine Kommentare vom 01.11.17 um 12.58 Uhr und am 02.11.17 um 0.25 Uhr). Aus den Formulierungen im Handbuch lese ich das allerdings nicht unbedingt heraus.

  9. Zur nächsten Sendung (es gab so viel zu bereden, nur ein kleiner Ausschnitt):

    Ich bin nochmal so frei und zitiere mich schamlos und faul aus vorherigen Bemerkungen selbst (wer keine Bock hat, das zu lesen, den verstehe ich gut):

    Ich musste mich auch erst belehren lassen – anscheinend gilt die Regel, dass nur klare Fehlentscheidungen revidiert werden dürfen, nur für den VAR. Nicht aber für den HSR, wenn er sich die Situation selber auf dem Monitor anschaut.

    „Einer der Gründe, warum man denen das gar nicht erst erlauben sollte. Andere Sportarten kommen auch sehr gut aus, ohne dass die Schiris sich ihre Herrlichkeit nochmal selber anschauen dürfen. Und im Wunsch nach Fehlerfreiheit natürlich überkritisch gegenüber ihrer eigenen Leistung sind. Menschlich verständlich, muss aber nicht sein.

    (…)

    [zur Verantwortungsverlagerung weg vom HSR] Widerwärtig, soso.

    (…), Du darfst natürlich Deine Meinung haben. Und da es sich letztlich um eine grundlegende Geschmacksentscheidung handelt, ist sie von mir ohnehin nicht angreifbar. Aber mir gelingt es beim besten Willen nicht, mich plausibel in Deine Position hinein zu versetzen.

    Genauso wenig verstehe ich die Maxime von (…), der HSR müsse bei Zweifelsfällen um jeden Preis das letzte Wort haben und sich die Bilder deswegen unbedingt selber anschauen.

    Ich komme mir langsam wie eine springende Platte vor, möchte aber trotzdem nochmal auf die Erfahrungen im Eishockey verweisen. Da erzählt der Video Referee dem Hauptschiedsrichter über das Telefon, was er gesehen hat. Und der trifft (bzw. in aller Regel verkauft) dann die auf Basis dieser Wahrnehmung getroffene Entscheidung. Die Eishallen dieser Welt sind sicher nicht frei von Unmut des Publikums gegenüber den Schiedsrichtern. Aber ich habe noch nie einen Hockey-Fan erlebt, der sich darüber aufregt, die Schiri seien vom Video-Ref ferngesteuert oder enteiert oder was man sonst so liest und hört.

    Ich weiß auch nicht, worin diese Enteierung liegen sollte.

    Die Tätigkeit als Schiedsrichter zerfällt doch letztlich immer in drei Anforderungen: 1.) Wahrnehmung einer Situation, 2.) Bewertung einer Situation und 3.) Entscheidung über die zu treffenden Konsequenzen anhand Subsumtion unter das Regelwerk und schiedsrichtertaktische Erwägungen betreffend der persönlichen Spielleitung.

    Durch den Review wird dem HSR eine zusätzliche Wahrnehmung geschenkt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese muss der HSR nicht hinterfragen. Da sitzt ja nicht Kalle Arsch vor der Glotze sondern ein ausgebildeter Fachmann. Von dem ich erwarte, dass er seine Wahrnehmung klar, präzise und in Fachsprache kommuniziert bekommt. “Spieler X lenkt Puck mit Schläger ins Tor, Schläger klar oberhalb der Torlatte”, “Ball vom Angreifer X wird auf seinem Weg zum Tor erzielenden Angreifer Y in Abseitsposition vom Verteidiger nicht berührt”. Das ist 1.) eine Wahrnehmung, der zwingend 2.) und 3.) folgt: “Kein Tor”, “Abseits, kein Tor”. Darf der Video-Ref ruhig so aussprechen. Ich sehe absolut keinen Vorteil darin, dass sich der HSR den Quatsch dann nochmal selber auf einem wackeligen Zwergen-Bildschirm anschaut, während ihm das Publikum auf den Hintern starrt.

    Natürlich gibt es auch weniger eindeutige Situationen. Auch dann erwarte ich eine klare Kommunikation: “Schläger wohl eher oberhalb der Torlatte, mit dem vorhanden Bildmaterial aber nicht eindeutig feststellbar”, “Verteidiger berührt Ball; wirkt aber eher unglücklich – ich persönlich tendiere trotzdem zu bewusstem Abspiel, andere Ansicht vertretbar”.

    In diesem unklaren Fall kann man aus meiner Sicht drei sinnvolle Möglichkeiten regeln, wie weiter verfahren werden soll (muss man halt gegeneinander abwägen – und das zur Abwechslung vielleicht auch mal öffentlich kommunizieren, lieber DFB):

    a) Das Review führt zu keiner eindeutigen Widerlegung der Entscheidung auf dem Platz. Entscheidung bleibt bestehen (“Tor”, “Abseits, kein Tor”). So wird seit Jahrzehnten z.B. beim Eishockey oder in der NFL verfahren und dies ist aus meiner persönlichen Sicht auch die angenehmste Verfahrensweise. Sollte der HSR dies später nach Ansicht der Bilder anders sehen, dann muss er damit leben. Ich bevorzuge dann das ruling on the field als Ausdruck der hilfsmittelfreien Sicht.

    b) Die Bewertung des Video-Refs als quasi Supervisor wird übernommen (“Kein Tor”, “Kein Abseits, Tor”). Finde ich eher unschön, weil sich seine andere Perspektive hier eben nicht in einer eindeutig überlegenen Wahrnehmung äußert – aber kann man sicher so machen.

    c) Der HSR nimmt diese zusätzliche Wahrnehmung zur Kenntnis, addiert diese zu seiner eigenen Wahrnehmung und trifft dann eine eigene Entscheidung, ob ihn dies in Summe zu einem anderen Ergebnis bringt. Ob ihn also die Ansicht des Video-Refs überzeugt. Im Grundsatz die theoretisch sauberste Lösung (muss er doch mit den Wahrnehmungen der anderen Mitglieder im Gespann genauso verfahren), überfordert aus meiner Sicht aber einen Menschen. Der Video-Ref ist halt nicht Mitglied des Gespanns und seinen eigenen Erinnerungen mehr zuzutrauen als jemandem, der es gerade mehrmals angeschaut hat, verlangt schon viel Selbstvertrauen. Aber auch dies kann man sicher so regeln.

    Was aber aus meiner Sicht definitiv keine sinnvolle Möglichkeit ist: Den HSR das ganze nochmal selber auf einem wackeligen Zwergen-Bildschirm anschauen zu lassen. Auch hier sehe ich absolut keinen Mehrwert. Was soll das bringen? Warum sollte er zu einer fundierteren Wahrnehmung kommen als derjenige Fachmann, dessen Arbeitsplatz auf diese Art der Wahrnehmung optimiert ist und der vor allem auf diese Perspektive fokusiert ist, während der HSR zunächst mal komplett geistig seine Perspektive wechseln muss? Leuchtet mir nicht ein. Von der Würdelosigkeit des Vorgangs noch ganz abgesehen.

    So baut man aus meiner Sicht einen sinnvollen Review. Und ich sehe immer noch nicht, wo darin eine widerliche Enteierung des HSR liegen soll. Zumal genau diese Vorgehensweise der Fußball ebenfalls seit Jahrzehnten kennt: Wenn die “normalen” Assistenten etwas wahrnehmen, dann läuft doch im Grunde exakt derselbe Prozess ab. Hat schon mal jemand darüber nachgedacht, der Schiedsrichter werde enteiert, nur weil der Asisstent z.B. per Headset oder Fahnensignal auf eine Tätlichkeit hinweist, die dem HSR entgangen ist? Wollen wir dies vielleicht auch abschaffen? Genau dies wäre es zu Ende gedacht, dem HSR weitere Wahrnehmungen zur Verfügung zu stellen, so grundsätzlich abzulehnen.“

    • Ich sehe das ganz ähnlich.

      Ursprünglich Intention beim Videobeweis war es klare Fehler zu verhindern. Es wurde vor der Saison gesagt ein solcher klarer Fehler liegt dann vor, wenn jeder (auch der Gegner) nach Betrachtung der Bild zu dem Schluss kommen muss, dass die ursprüngliche Entscheidung falsch war.

      Vor der Saison hatte man sich außerdem überlegt ein Onefield-Review nur in Ausnahmefällen einzusetzen. Diesen Ansatz empfand ich als überzeugend. Die Videoassistenten sind selber Bundesligaschiedsrichter. Sie haben die gleiche Qualifikation wie der Hauptschiedsrichter auf dem Feld. Bei Absatzentscheidungen vertraut der HSR in 95% der Fällen seinen Assistenten, weil die Assistenten ein Absatzsituation aus ihrer Position viel besser erkennen können. Beim Videobeweis ist es meiner Meinung nach ganz ähnlich. Der VAR hat mehrere Perspektiven zur Verfügung und kann ein Szene mehrfach betrachten.
      Wenn man dem Grundsatz des Videobeweises folgt und sich auf klare Fehler beschränkt, sollte der VAR problemlos in der Lage sein diese Fehler zu erkennen und eindeutig dem HSR gegenüber zu kommunizieren.
      Wenn kein klarer Fehler erkennbar ist, bleibt es dann einfach bei der ursprünglichen Entscheidung.

      Ich kann den Vorwurf des Oberschiedsrichters/Fernsteuerung auch nicht nachvollziehen. Die endgültige Entscheidung bleibt ja beim HSR. Das Schiedsrichtergespann ist ein Team. Dazu gehört für mich auch der VAR. Zusammenarbeit und Vertrauen sind da notwendig.

      Das Onefield-Review ist aus meiner Sicht nur in wenigen Ausnahmefällen sinnvoll z.B. wenn der HSR sich seiner Entscheidung sehr sicher war und dann durch den Eingriff des VAR komplett überrascht wird.

      Ich finde die Verantwortlichen des Videobeweises haben sich durch die, an den ersten Spieltagen, geäußerte Kritik in Öffentlichkeit und Medien („Schlafen die da in Köln“, etc.) zu schnell zu Änderungen hinreißen lassen. Das vor der Saison ausgearbeitete Konzept wurde mit dem 5. Spieltag nahezu komplett über den Haufen geworfen (nicht nur klare Fehler werden korrigiert, häufiger Einsatz OFR, usw.). Die fehlende Kommunikation hat es dann nur noch schlimmer gemacht.

      Ich schließe mich daher den Forderungen von Tobias Escher weitestgehend an:
      http://spielverlagerung.de/2017/11/06/tes-bundesliga-check-wie-man-den-videobeweis-retten-kann/?doing_wp_cron=1510139361.6817328929901123046875#collapseComments

      Vielleicht noch als zusätzliche Idee:
      Feste Schiedsrichtergespanne inkl. VAR bilden. Das ist ja bisher schon der Fall mit Schiedsrichter + Assistenten.
      Dann kann sich der HSR auch mit dem VAR besser absprechen, wie die Kommunikation erfolgen soll.

      • »Ich kann den Vorwurf des Oberschiedsrichters/Fernsteuerung auch nicht nachvollziehen. Die endgültige Entscheidung bleibt ja beim HSR. Das Schiedsrichtergespann ist ein Team. Dazu gehört für mich auch der VAR. Zusammenarbeit und Vertrauen sind da notwendig.«

        Das sehe ich als Schiedsrichter prinzipiell genauso, aber um Akzeptanz für die Neuerung namens Video-Assistent zu gewinnen, muss man halt auch Spieler, Trainer und die Öffentlichkeit mitnehmen. Es wäre interessant gewesen zu beobachten, was passiert wäre, wenn Krug und Fröhlich hier offensiv kommuniziert und erklärt und dabei dein Argument stark gemacht hätten. Stattdessen haben sie gar nichts erklärt und einfach die Linie geändert (in der Hoffnung, dass sich die Gemüter beruhigen), was sie den Klubs dann Wochen später in einem Brief mitgeteilt haben, der inzwischen wieder kassiert wurde.

        »Feste Schiedsrichtergespanne inkl. VAR bilden.«

        Finde ich eine ausgezeichnete Idee.

        • Es sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille: Man muss erst einmal offen (und ggfs. auch selbstkritisch) kommunizieren.

          Wenn man das tut, dann kann „Leute mitnehmen“ auch bedeuten, dass man offensiv zu seiner Position steht und die begründet gegen Anfeindungen verteidigt.

          Hier ist nach meinem Empfinden beides nicht erfolgt.

          Ich meine, wir referenzieren immer auf diesen tollen Artikel bei schirilogie. Und der ist ja auch toll. Aber warum gab es denn – nach meiner Wahrnehmung – quasi keine anderen tollen Artikel und Beiträge in den Medien währen des Testlaufs? Fast alle „normalen“ Menschen, die ich so erlebe, ist dieser ganze Komplex völlig unbekannt. Für die wurde der „Videobeweis“ einfach irgendwann eingeführt. Natürlich wurde vorher thematisiert, dass er kommt. Frühestens davon mitbekommen, wie der eingesetzt werden wird, haben sie aber beim Confetti Cup. Das ist doch kein Zustand.

          Feste Gespanne empfinde ich auch als no brainer.

  10. Alex, in eine ähnliche Kerbe hauend. Du hast in der letzten Sendung den Standpunkt vertreten: Wenn ein Schiedsrichter sich eine Szene persönlich anschaut und diese daraufhin als fehlerhaft korrigiert, dann wird auch ein erheblicher Fehler vorgelegen haben. Denn ein Schiedsrichter korrigiere sich nicht gerne.

    Die Frage kommt ob des Erfahrungs-Deltas zwischen uns beiden etwas dämlich rüber, ist aber Ernst gemeint: Bist Du Dir da sicher?

    Ich würde nämlich das Gegenteil vermuten.

    Klar korrigieren die sich als Experten nicht gerne, nur weil irgendein dahergelaufener Tüp, der seinen Beruf zufällig auf demselben Spielfeld ausübt, ihn vollquatscht. Aber nachdem man sich das selber aus anderer Perspektive anschauen konnte? Mit ihren eigenen Experten-Augen?

    Ich möchte vehement behaupten (und fühle mich von den bisherigen Ereignissen bestätigt), dort bricht sich das genaue Gegenteil bahn: Der Drang zur Perfektion und Fehlerfreiheit.

    Ich meine, dazu muss nach nicht Elite-Schiri sein. Wer von uns würde eine Möglichkeit der Korrektur zur Verbesserung seiner eigenen Arbeit einfach so verweigern? Selbst mit guten Gründen und Gewissen? Wer noch nie für die „nur noch kurze Nachkorrektur“ einer Uni-Hausarbeit mehr Zeit als für das eigentliche Schreiben verwandt hat, der hebe bitte die Hand.

    Oder mal ein profanes Beispiel aus meinem eigenem Alltag: Es gibt aus gutem Grund in der schmierigen, von mir verantworteten Webpräsenz keine Edit-Funktion. Weil die Leute nämlich jeden Scheiß nachträglich korrigieren, wenn sie es könnten. Jeden Komma- oder Schreibfehler, jede missglückte Formulierung. Geht mir ja persönlich nicht anders.

    Neine, nein. Es ist letztlich wie damals im Deutsch-Unterricht, wenn wieder jemand Denkfaules als einzigen Maßstab der Analyse die späteren Bemerkungen des Autoren heranzog: Man muss die Interpretation des Werkes dem Künstler entreißen. Er ist als letzter dazu geeignet.

  11. Bin mit CE 88 noch nicht ganz durch, habe aber schon eine Frage (vielleicht dann auch noch für CE 89) zum Torwart:

    Ich meinemich zu erinnern, dass es neulich mal (bei Euch? oder damals in Bezug auf Neuer von Krug? ich weiß es nicht mehr)) hieß: Es gibt bei der Bewertung von Zweikämpfen keine Sonderrechte (mehr) für den Torwart. In CE 88 hörte sich das etwas anders an.

    Paradabeispiel Gacinovic/Horn:
    Wie man hier
    https://www.youtube.com/watch?v=JMYb8BlOy54
    (bei ca 1:15) gut sehen kann, ist Gacinovic eher als Horn am Ball und schießt ihm gegen die Ferse. Dann trifft Horn Gacinovic.
    Ich behaupte mal, bei einem Verteidiger hätte es keine große Debatte gegeben, dass das selbstverständlich ein Foul ist. Bei Horn sagen viele, der habe doch den Ball gespielt (obwohl er eigentlichnur angeschossen wurde). Hintergrund dürfte sein, dass man einem Torwart wohl erlauben möchte, so in den Zweikampf zu gehen (bei einem verteidiger wohl eher nicht). Kann und sollte es nach den aktuellen Regeln einen Unterscheid bei der Bewertung geben?

    Für die Zukunft: Ihr habt zurecht diskutiert, ob man die Gentner/Casteels-Szene im Winter vielleicht nochmal im Schiedsrichterkreis bespricht und eine andere Sichtweise verkündet. Wichtig wäre aus meiner Sicht, dass das nicht nur intern geschieht, sondern auch öffentlich – und vor allem die Torhüter entsprechend informiert werden. Als ich noch jung war ;-) war ich selbst Torwart und habe im Training bestimmte Verhaltensweisen erlernt, die zum Torwartspiel dazugehören (zB auch Knie anziehen beim Anspruch, schon um sich selbst zu schützen). Ichhabe nichts dagegen, dass man das ändert und sich Torhüter umstellen müssen (wie es zB auch Feldspieler beim Ellenbogeneinsatz machen mussten). Aber: Sie müssen wissen, was Sie dürfen und was nicht. Und zwar sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich.

    Und schließlich: Dürfte der DFB denn eine solche Änderung der Bewertung eigenständg einführen? Ihr sprecht zurecht über den „Fußball-Code“, der bei der Auslegung eine Rolle spielen kann. Aber ist es nicht auf internationaler Ebene ein Problem, wenn es unterschiedliche Auslegungen gibt? Und sollte das nicht dnn das IFAB entscheiden?

    Liebe Grüße und vielen Dank (vor allem auch für Eure geduldige Bekehrungsarbeit auf Twitter)
    Stephan

    • Ich bin mir nicht so sicher, dass es keine Diskussionen gegeben hätte, wenn statt Horn ein Kölner Verteidiger so in den Zweikampf gegangen wäre und es dann den Strafstoß gegeben hätte. Das Argument lautete ja: Da ist zuerst klar der Ball gespielt worden. Wir können vor dem Hintergrund deiner Einschätzung leidenschaftlich darüber diskutieren, ob der Elfmeter nicht doch gerechtfertigt war. Aber einen Unterschied zwischen Torwart und Feldspieler würde ich dabei nicht machen, und nach allem, was ich weiß, soll er auch nach offizieller Lehrmeinung nicht gemacht werden.

      Was Casteels/Gentner betrifft: Dass das nicht nur intern geklärt werden sollte, sehe ich ganz genauso.

      Bei der Regelauslegung in bestimmten Situationen sind die Verbände grundsätzlich befugt, eine eigene Linie vorzugeben. So gab es in der Bundesliga beispielsweise jahrelang die Anweisung, bei einer Notbremse durch den Torwart im Strafraum nur dann Rot zu zeigen, wenn er bei seinem Foul wirklich gar keine Chance oder gar keinen Willen hatte, den Ball zu spielen. International dagegen war diese Regelauslegung völlig unüblich, da gab es unterschiedslos Rot. Der DFB hat seine Auslegung schließlich angeglichen. Und nun wiederum ist es bekanntlich so, dass es bei ballbezogenen Notbremsen im Strafraum nur Gelb gibt – weltweit.

      Das IFAB ist im Normalfall nicht für die Regelauslegung zuständig, das erledigen die FIFA und die Kontinental- sowie die Nationalverbände. Zumindest in den großen Ligen ist es aber so, dass man meist bestrebt ist, sich der international gültigen Auslegung anzupassen.

    • Stephan, nur mal zwei Details:

      – Anscheinend habe ich völlig andere Augen als der Datzen-Kommentator (und auch als Alex). Mir ist völlig unklar, unter welchem Gesichtspunkt das kein Foul gewesen sein soll. Gacinovic legt den Ball an Horn vorbei (dass der Ball dabei Horn irgendwie zu berühren scheint, halte ich für unbeachtlich – geklärt hat Horn da jedenfalls nichts) und könnte ihn sich erlaufen, was er in meinen Augen auch will. Aber nicht kann, weil er von Horn abgeräumt wird. Anscheinend kann man dies auch anders sehen, was ich selbstverständlich respektiere. Was ich aber nicht hinnehme: Wie man da „Schon wieder eine klare Fehlentscheidung gegen den FC!“ herumskandalisieren kann. Dort, bei solchen Kommentatoren, liegt mindestens ebenso das Problem wie bei der mangelhaften Kommunikation des DFB.

      – Ist Dir unbekannt, dass man Youtube-Links mit einem Zeitstempel versehen kann? Man muss dazu an die URl nur das Attribut „?t=2m32s“ (Beispiel für Start nach 2:32 min) anhängen. Seit einiger Zeit geht das noch einfacher, wenn man die URL nicht aus der Browserleiste rauskopiert, sondern unter dem Video auf „teilen“ klickt und dort den Haken bei „Starten bei“ setzt. Dann gibt er einem automatisiert eine URL mit Zeitstempel an der Stelle, an der man gerade ist (man sollte dazu sinnvollerweise das Video an der gewünschten Position pausieren). Vielleicht hilft Dir das in Zukunft.

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